Kapitel 16 - Verzögerungstaktik


Warum um alles in der Welt hatte er sich Sorgen gemacht? Was vor ihm stand, unterschied sich nicht im Geringsten von der Person, die er kannte.

"Eigentlich wollte ich wissen…", kurz brach er ab.

Nein, unmöglich konnte er die Worte über die Lippen bringen, die auf seiner Zunge lauerten. Nie im Leben. Er konnte sie nicht fragen, wie es ihr ging. Also entschied er sich für einen Umweg, der, wie er hoffte, elegant genug war. Tief holte er Luft.

"Eigentlich wollte ich wissen, ob ich sicher gehen kann, dass Sie mein Verhalten von gestern nicht überall herumposaunen."

‚Oh verdammt, Sev, das war noch dämlicher als sie zu fragen, wie es ihr geht. Du lässt nach. Schon diesen Satz mit eigentlich zu beginnen zeigt doch, dass du etwas ganz anderes wolltest.'

Aniram hingegen zog ob dieser Frage zischend die Luft ein. Sie hatte nicht übel Lust, ihm an die Kehle zu gehen.

"Ich glaube, Sie können sich diese Frage selbst beantworten."

Sie legte ihren Kopf schief und schaute ihn an. Warum stellte er ihr diese Frage? War der Hintergrund ein anderer? Ihr Gesicht wurde weicher und sie lenkte ein.

"Na ja, also sorry, ich hatte wohl eben kein Recht, so aufzufahren. Es tut mir wirklich leid. Aber mal ehrlich", sie senkte ihre Stimme noch mehr, "seh ich so doof aus?"

Ihr linker Mundwinkel hob sich. Mit ihrem Zeigefinger stupste sie ununterbrochen auf seine Brust.

"Ich teil doch meinen Engel mit niemandem." Um forsch nachzulegen. "Sehen wir uns heute Abend?"

Professor Severus Snape schnappte nach Luft, sehr viel Luft. Diese Frage wurde mit einer dermaßen großen Selbstverständlichkeit vorgetragen, als führe er sie nun schon seit Wochen in die teuersten Restaurants aus. Engel. Jetzt degradierte sie ihn schon zum Engel. Mit schwarzen Flügeln oder wie? Mit einem harten Schlucken bemühte er sich um Contenance.

‚Ich bin der Boss, ich bin der Boss.'

Einen mit diesen Worten beschrifteten Hammer ließ er unermüdlich auf einen Amboss knallen. Damit wollte er sich verdeutlichen, dass er wirklich der Boss war. Er war mittlerweile einiges gewohnt von ihr, aber dennoch ging es nicht an, dass sie so etwas sagte. Dass sie das mit der größten Selbstverständlichkeit hervorbrachte, als hätte sie ihn gebucht. Seine Haltung versteifte sich.

"Was wird das jetzt? Rent-a-Snape?"

Große, bernsteinfarbene Kulleraugen sahen ihn an. Dann folgte eine übertriebene Verbeugung.

"Oh, ziehen wir heute sämtliche Register unserer Kreativität? Ich verneige mich voller Ehrfurcht. Wollen wir eine Firma aufmachen und Kohle scheffeln?"

Snape schnaubte durch die Nase. Eine passende Antwort wollte ihm absolut nicht einfallen, also stampfte er einmal mit dem Fuß auf. Und noch einmal.

"Aber Sir!"

Aniram griff belustigt nach seinem Umhang und zog ihn wie einen Vorhang auseinander.

"Entschuldigen Sie meine offensichtliche Bildungslücke, aber handelt es sich hier um einen europäischen Fruchtbarkeitstanz?"

Den Umhang riss er wieder an sich und verkündete mit gefährlich schmalen Augen Punktabzug für Ravenclaw. Zehn. Eine bessere Zahl fiel ihm nicht ein. Es mussten zehn sein. Seine Rechnung war einfach: zehn bedeutete Hawkwing. Natürlich konnte er sich auch in die beinahe unerschwinglichen Weiten der Hundert vorwagen, aber da musste einiges passieren, bis das geschah. Dennoch hatte Ravenclaw dank ihrer Unbeherrschtheit ab und zu hundert Punkte weniger. Als er daran zurückdachte und sich damit ein gewisses Hochgefühl verschafft hatte, schnarrte er frostig.

"Bis heute Abend."

Momentan war er ihrer Schnoddrigkeit nicht gewachsen. Das ärgerte ihn maßlos. Jetzt, wo er wusste, dass sie in Ordnung war, nahm er sich vor, sie heute gründlich zur Schnecke zu machen.

Zu dem abzuarbeitenden Haufen, den er sich heute Abend als Extratour ausgedacht hatte, legte sie freiwillig mit diesem Auftritt noch eine Schaufel auf. Er würde sie auf dem falschen Fuß erwischen, unter Garantie. Zur Rede stellen wegen dem, was er entdeckt hatte, und wegen eben. Ein hinterhältiges Grinsen huschte über sein Gesicht. Es wurde Zeit, wirklich Zeit. Er platzte förmlich vor Spannung und konnte den Abend nicht erwarten.

Jedoch - seit wann hielt sich ein Snape an das Gesetz der Zeit? Seinen Unmut über diese missglückte Begegnung ließ er selbstverständlich schon in der ersten Klasse aus.

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Ihr halbes Leben hätte Aniram jetzt für eine Doppelstunde Zaubertränke gegeben. Denn im Kerker wäre sie jetzt lieber als im Highlight dieses Schlosses - Trelawneys Domizil. Ihr war absolut nicht wohl bei dem Gedanken, sich dort oben jetzt beweihräuchern zu lassen, aber was blieb ihr schon übrig? Wahrsagen war der unangenehmste Unterricht in diesem Gemäuer.

Diesen schweren Duft - oder sollte sie das doch lieber als Gestank bezeichnen? - auf so engem Raum, den konnte maximal ein eingefleischter Masochist ertragen. Ihr dagegen wurde grässlich zumute. Sie verzog ihr Gesicht und würgte schon auf dem Hinweg.

Dass dieses völlig überflüssige Fach von Fliegen abgelöst wurde, heiterte sie etwas auf. Aber leider nur etwas. Denn zum vollkommenen Wohlbefinden trugen die Besen keineswegs bei. Sie erschienen ihr immer noch unheimlich. Aber wenigstens war sie an der frischen Luft. Also tat sie alles, was sie konnte, um Madam Hooch zufriedenzustellen.

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Endlich, endlich abends. Sehr zum Unverständnis aller sich im Gemeinschaftsraum Aufhaltenden trat sie ihren Gang Richtung Kerker an. Sie trat ein ohne anzuklopfen. Einfach ohne nachzudenken, weil das schon Routine war. Dann blieb sie erschrocken in der Tür stehen.

Snape saß an seinem Schreibtisch und korrigierte. Jeden Abend dasselbe Bild. Jetzt schaute er hoch und in seinem Blick spiegelte sich mindestens genauso viel Verwirrung wider wie in ihrem. Beider Blicke flogen zur Uhr. Dreiviertel acht.

Sie machte den Anfang, bevor er sich überhaupt einen Satz zurechtlegen konnte.

"Soll ich auf dem Gang warten, bis es um acht ist?"

Selbstverständlich war es ein Scherz und sie machte noch einen Schritt vorwärts.

Ein unwirscher Federwink unterstrich seine folgenden Worte.

"Tun Sie das."

Mit heruntergeklapptem Unterkiefer trat Aniram den Rückzug an und schloss die Tür. Sie wusste nicht, dass Snape dort drinnen grinste wie ein Wahnsinniger.

‚Na bitte, wer sagt es denn? Aber in einer Viertelstunde musst du dich wieder einkriegen.'

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Magdalena die Mimosenhafte hüstelte dezent. Aniram blieb wie ein Stock stehen und drehte nur die Augen in diese Richtung.

"Edward der Erfolglose ist heute dran. Oder besser gesagt gestern."

Nun folgte der Körper doch den Augen. "Ah ja, Edward. Sorry, Leute, ich war gestern, hm, indisponiert."

"Das war deutlich spürbar", meckerte Edward. "Also, was krieg ich?"

Aniram ging auf das Gemälde zu und besah sich alles genauestens. Im Vordergrund natürlich Edward höchstselbst, der sich in Positur warf. Seine Kleidung war zwar adlig, aber er sah nicht aus wie ein Magier. Aniram fragte sich, wo Snape den wohl ausgegraben hatte.

Wenn die große Narbe nicht wäre, die sich über die gesamte linke Gesichtshälfte zog, dann könnte man ihn beinahe als schön anzuschauen bezeichnen. Doch dagegen sprach mehr als deutlich der Ausdruck in seinen Augen. Wenn dort überhaupt von Ausdruck die Rede sein konnte. Sie wirkten finster, kalt und grausam.

Sie wirkten so wie der Rest, der ihn in seinem Rahmen umgab. Im Hintergrund baumelten einige Leichen an Bäumen und ein paar Hunde wurden auf Bauern gehetzt.

"Sag mal", fragte sie gedehnt, "wer hat dir eigentlich den Titel ‚Erfolglos' gegeben? Das muss ja ein ziemlicher Dussel gewesen sein."

Edward schnaubte. Als der Mensch da vor ihm fragte, wer auf diese Idee gekommen wäre, wollte er sofort hoheitsvoll sagen ‚ich'. Aber was war ein Dussel?

"Mit Verlaub, dürfte ich in Erfahrung bringen, was ein Dussel ist?"

Magdalena lachte sich schlapp.

"Da sieht man es mal wieder, in welchem Astloch deine Bildung stecken geblieben ist."

"Danke Magda", fuhr ihr Aniram grinsend in die Parade. "Ich weiß ja nicht, seit wann du hier rumhängst, aber wie wäre es, ab und zu die Ohren aufzusperren? Ich bin mir sicher, der Begriff Dussel wurde nicht erst in diesem Jahrhundert kreiert."

"Wohl wahr, wohl wahr", kam es zustimmend von einigen Seiten.

Sie seufzte tief auf, trat noch einen Schritt zurück und nahm Edward samt Umgebung kritisch in Augenschein. Dann blitzte sie ihn an und verkündete ihr Resultat. Was von den anderen Gemälden mit Beifall hingenommen wurde, löste bei ihm einen regelrechten Knick aus.

"Warum denn ausgerechnet so was?" Dabei rieb er sich unangenehm berührt den Hals.

"Mir war danach."

Dabei wippte sie auf den Zehenspitzen. Bevor sie sich noch mehr über den entsetzten Gesichtsausdruck amüsieren konnte, erklang es melodisch von vorn.

"Die Uhr, die Uhr."

Aniram fuhr auf. Du lieber Himmel, gerade rechtzeitig. Nicht, dass sie noch aufgerufen wurde. Als sie versuchte, sich ein Wartezimmer für den Kerker vorzustellen, begann sie zu kichern. Schnell rannte sie nach vorn und warf Magdalena zwei Kusshände zu.

"Ich danke dir, du warst zwar ein Biest, bist aber ein Schatz."

Diese Worte hatten zur Folge, dass das Porträt gleich zwei Nummern größer wurde.

Für den jetzigen Einzug der Gladiatoren in der Einzahl nahm sie sich vor, besonders laut und deutlich zu klopfen. Es musste ja nicht zwingend ein gemorstes S.O.S. herauskommen. Sie rieb sich ihre Hände und freute sich schon auf das Gesicht. Ihre Faust glitt unendlich langsam nach oben und dann donnerte sie gegen die Kerkertür.

Allerdings musste sie alles an Imagination aufbringen, was sie hatte, denn die Kerkertür war weg, ihr Schlag ging ins Leere und von der Wucht nach vorn gerissen flog sie Snape in die Arme. Statt die Kerkertür mit einem Fausthieb zu liebkosen, tat sie das mit seiner Brust.

Dem Meister blieb die Luft weg ob des unerwarteten Schlages.

"So hastig, Miss Hawkwing?", schnappte er. "Sie scheinen sich ja regelrecht darum zu reißen, jeden Abend hier Eintritt zu erhalten. Egal, mit welchen Mitteln."

Bevor er zur Tür gegangen war, hatte er einen Blick an die Uhr geworfen und festgestellt, dass die Zeit um war. Warum sie nicht pünktlich hereinkam, wunderte ihn. Also musste er sie wohl holen. Jetzt hatte sie sich an seinen Umhang gekrallt, der auf sie eine scheinbar ebenso große Anziehungskraft zu haben schien.

Aniram hing an ihm und innerlich bettelte sie darum, nur nicht rot geworden zu sein. So wenig ihr sonst alles andere ausmachte, aber irgendwie - irgendwie - seit gestern… Dann hob sie den Kopf mit dem altbekannten Grinsen.

Ein bisschen Zupfen an seinem Umhang, ein Zurechtschütteln ihres Umhangs und für ihre Begriffe war der Status quo wiederhergestellt.

"Na ja, wer mich rauswirft, der muss damit rechnen, dass ich mit dem doppelten Elan wieder reinkomme. Sozusagen. Und entschuldigen Sie bitte die Falten in Ihrem Umhang, das war gewiss keine Absicht."

Mit diesen Worten drängelte sie ihn beiseite, begab sich nach vorn und blieb vor dem Rezept stehen.

Seinen Vorstellungen konnte sie damit gar nicht nahe genug kommen. Sie übertraf sie beinahe. Snape fand das äußerst passend, genau da wollte er sie haben. Auch wenn ihn ihre Selbstsicherheit, mit der sie dorthin spazierte, überhaupt nicht zusagte.

Ein Fakt hatte sich aber mit ihrem Einmarsch ins Hirn gegraben: sollte er jemals auf lebensrettende Maßnahmen wie eine Herzmassage angewiesen sein, würde er sich an sie wenden. Unauffällig rieb er sich seine Brust. Verflucht, hatte das Mädchen einen Schlag!

Aniram, die ins Rezept vertieft war und dem Geschehen hinter ihr absolut keine Beachtung mehr geschenkt hatte, zuckte zusammen, als die Tür krachend ins Schloss fiel und mit einem Versiegelungszauber belegt wurde. Sie blinzelte, als er auf sie zukam.

Irgendetwas stimmte doch heute nicht. Absolut nicht. Noch dazu, weil er sich so locker auf die Tischkante setzte.

Von dort aus nahm er den Faden der am Morgen gestarteten und leider nicht zu seinen Gunsten gelaufenen Konversation wieder auf.

"Sie sind also wieder vollkommen in Ordnung?"

Inhalt und Tonfall der Frage passten überhaupt nicht zusammen, resümierte sie kurzerhand. Es klang auf eine eigenartige Art und Weise hinterhältig. Doch Aniram entschied sich für eine kurze Antwort.

"Ja, bin ich. Weshalb fragen Sie?"

Genüsslich zog er es in die Länge.

"Dazu komme ich gleich." Er glitt vom Tisch und lief um sie herum. "Sind Sie im Vollbesitz Ihrer geistigen Kräfte?"

"Häh? Wird das ne Gerichtsverhandlung? Vielleicht noch mit nem Urteil?"

"Das könnte durchaus sein. Also, Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet."

Aniram zuckte darauf nur die Schultern und bejahte. Ein Blick in seine Augen zeigte ihr etwas Lauerndes. Sie fühlte sich immer unwohler.

Ein Gefühl, das er strategisch günstig unterstrich, indem er sich schon wieder bewegte und zurück auf die andere Seite schlich.

"Gut, dann muss ich auch nicht zimperlich sein."

Herrlich, wie sie zusammenzuckte. Er fragte sich, was wohl jetzt in ihrem Kopf vorging. Im lockeren Plauderton wurde er das los, was er wollte.

"Können Sie mir einen plausiblen, absolut nachvollziehbaren Grund nennen, weshalb Sie diesen Trank mit einem Retardationszauber belegt haben?"

Aniram starrte geradeaus auf das Corpus Delicti. Wie zum Teufel hatte er das herausgefunden? Diese Frage beschäftigte sie immens. Anschließend studierte sie intensiv die Kerkerfliesen und musste zu ihrem Leidwesen feststellen, dass alle gleich aussahen.

So verloren, reglos und AUSNAHMSWEISE einmal sprachlos, das sorgte dafür, dass sich Snape in diesem Moment gleichermaßen als König, Kaiser und Gott fühlte.

"Na was denn, was denn, wir werden doch wohl nicht sprachlos sein? Ich glaube, dafür sollte ich unbedingt noch eine Spalte einrichten, finden Sie nicht auch? Die Gelegenheiten, bei denen man eine Miss Hawkwing in diesem Zustand erleben darf, sind so selten, dass sie unbedingt schriftlich festgehalten werden müssen."

Mit einem Schwenk seines Zauberstabes erweiterte er ihr Dokument entsprechend und wartete immer noch auf eine Antwort.

Sie kam ihm auf die ungewöhnlichste Art und Weise entgegen. In Form eines spitzbübischen Lächelns und eines Glückwunsches.

"Zwei zu Eins. Ich gebe mich geschlagen", grinste sie. "Aber nun müssen Sie mir auch verraten, wie Sie dahinter gekommen sind."

"Müssen?"

Aniram ließ sich von nichts beirren, auch nicht von seiner recht fassungslosen Frage, und nickte eifrig.

Er erklärte, was er gestern getan hatte, nachdem offensichtlich war, dass die leuchtende Zeile für sie abgehakt war, aber trotzdem noch eine Zutat abgemessen auf dem Arbeitstisch stand.

"Ansonsten, meine Teuerste, wäre ich wohl bis heute in dem Glauben, es würde sich um einen äußerst komplizierter Trank handeln, der ewig nicht fertig wird. Aber mit Zwei zu Eins gebe ich mich nicht zufrieden. Denn jetzt will ICH wissen, warum Sie das getan haben."

Trotzig schob Aniram die Unterlippe vor. Ihr erschien es unvorstellbar, den wahren Grund zu nennen. Bis jetzt war sie der felsenfesten Überzeugung gewesen, er würde ihre Trickserei nicht entdecken. Demzufolge hatte sie sich für den Ernstfall auch keine plausible Ausrede zurechtgelegt. Aber getreu dem Motto "Ehrlich währt am längsten" holte sie tief Luft und platzte heraus.

"Wenn der Zauber nicht gewesen wäre, dann wäre dieser Trank bereits vor vier Wochen fertig geworden. Und, äh, dann hätte ich ja nichts mehr zu tun."

Bei diesen Worten heftete sie ihre Augen an den Kessel, als würde er den Mittelpunkt des Universums darstellen.

Snape bekam Augen wie Dumbledore, wenn dieser staunte. Sie WOLLTE hier unten sein? Egal, wie er war, was er war, obwohl er sie anfangs reichlich degradiert hatte? Sie schien wirklich nichts zu stören. Ein kleines Stimmchen im Hinterkopf fragte lauernd, ob er sie überhaupt gehen lassen wollte. Er grinste in sich hinein. Denn wenn sie geahnt hätte, dass er irgendwelche Tränke erfunden hätte, nur um sie in seiner Nähe zu haben, dann hätte sie mit Sicherheit nicht zu solch drastischen Mitteln gegriffen.

"Miss Hawkwing, Miss Hawkwing, schade, dass ich Ihnen das Wichtigste verschwiegen habe. Das ist nur die erste Seite der Arbeitsanleitung."

"Ehrlich?" Unvermittelt kam wieder Leben in sie. "Klasse. Und..."

"Und jetzt wollen wir doch dafür sorgen, dass der Trank nach dem Kobrablut so aussieht wie vorgeschrieben, nicht wahr?"

Er zückte seinen Zauberstab, richtete ihn auf den Kessel und wollte ansetzen, als seine Hand beiseite gestoßen wurde.

"Nein, das geht mit Ihrem nicht. Ich kann den Zauber nur mit meinem Zauberstab aufheben."

Er schnaubte. "Tatsächlich? Seit wann ist der Zauberstab einer Schülerin stärker als der eines Lehrers?"

"Das hat doch damit nichts zu tun, wer stärker ist. Aber heben Sie mal einen australischen Zauber mit einem europäischen Zauberstab auf." Sie grinste. "Ein absolutes no go."

Snape fragte sich, worin sich diese Zauberstäbe wohl unterschieden. Australisch hin oder her. Dann vernahm er zum ersten Mal einen Zauber aus ihrem Mund. Einen bekannten Zauber, aber doch fremd. Es klang wie ein Donnergrollen, das da mitschwang, als sie befahl: "Accelere!"

Sofort sah der Trank aus wie vorgesehen. Aber dieser Spruch! Was hatten die Australier für Intonationen? Klang etwa auch ein simples Alohomora wie Wassergluckern? Wundern oder nachfragen verbot sich von selbst. Das wäre ja noch schöner, wenn er in seinem eigenen Kerker als Bittsteller auftrat.

"Dann können Sie beruhigt weitermachen. Jetzt, wo Sie wissen, dass noch viel Arbeit vor Ihnen liegt." Damit ließ er sie stehen.

Als er sich seiner Lieblingsbeschäftigung widmen wollte, dem Verteilen von schlechten Noten, bekam er zum ersten Mal ein Gefühl dafür, wie sich Minerva fühlen musste. Oft genug hatte sie es erwähnt, dass diese Zaubersprüche über ihr Begriffsvermögen gingen. Begriffsvermögen wohl weniger, sondern Hörvermögen. Bei Minerva wollte ein solcher Satz einiges heißen.

Minervas Schilderung wurde um einiges glaubhafter. Die anderer Lehrer wohl genauso. Er selbst hatte schließlich bis heute noch nie einen Zauberspruch von ihr gehört. Es fiel dennoch schwer, sich eine Miss Hawkwing neben ihrem korrekt verzauberten Resultat vorzustellen, die steif und fest behauptete, mit europäischen Zauberstäben würde der Zauber wirkungslos verpuffen oder sich ins Gegenteil verdrehen. Anders könnte sie es eben nicht. Punkt. Dieser Punkt musste für seine Kollegen doch relativ schmerzhaft sein.

Minerva hatte selbst erzählt, dass sie einmal einen Spruch hatte kopieren wollen, aber die Behauptungen von Miss Hawkwing bestätigt sah. Es ging nicht. Snape brannte natürlich die Frage unter den Fingern, zwischen den Lippen oder wo auch immer, wie denn ein richtiger australischer Spruch klang. Also kein bekannter, der nur anders ausgesprochen wurde, sondern ein völlig fremder.

Schon allein das war Triebfeder genug, Tränke zu erfinden und sie allabendlich arbeiten zu lassen. Alles würde er dafür tun, um sie nicht nur in halsbrecherischer Geschwindigkeit Tränke brauen zu sehen, sondern ihr auch einmal einen Zauber zu entlocken.

Er schüttelte mit dem Kopf, vertiefte sich in seine selbst auferlegte Arbeit und hatte kurze Zeit später alles um sich herum vergessen. Bis ihm auffiel, dass sie schon wieder so merkwürdig ruhig war. Verdutzt hielt er inne, sah sie aber noch arbeiten, hörte sie kurz aufseufzen und summen.

Wenigstens sang sie heute keine Oper oder deklamierte gar Shakespeare. Unbewusst und unwillkürlich spitzte er die Ohren, als das Summen von leisem Singen abgelöst wurde. Die Melodie kam ihm bekannt vor.

"Was ist das, was Sie da laufend summen? Das hatten Sie doch schon gestern."

"Oh ja", antwortete sie, während sie die Wurzel der Akelei reinigte. "Das ist "Angels" von Robbie Williams. Ich brauch wohl nicht erst zu fragen, ob Sie das kennen, oder?"

"Oder, oder", ahmte er sie pikiert nach, "ich kann Ihr ‚oder' schon bald nicht mehr hören. Klären Sie mich stattdessen auf, bevor ich ungehalten werde."

Aniram lächelte und fror den Trank kurz ein. Anschließend zauberte sie erst einmal eine Projektion von Robbie Williams mitten in den Kerker. Dann wandte sie sich um und sang mit.

Snape glaubte zu träumen, denn ihr Zauberstab sah gar nicht mehr aus wie ein Zauberstab. Eher wie ein kurzer, schmaler Streifen mit einer Art Gitter an dem Ende, wo ihr Mund war. So etwas hatte er noch nie gesehen. Was sie in der Hand hielt, erkannte er schon als Muggel-Sonorus, aber er hatte noch nie gesehen, dass sich ein Zauberstab ohne Spruch in etwas anderes verwandeln konnte.

Die Hausaufgaben vor sich, die Feder in der rechten Hand, den Kopf in die linke gestützt, so schaute er von diesem durchscheinenden Bild zu ihr und wieder zurück. Sie sang immer begeisterter mit. Dann scholl es durch seinen Kerker.

And through it all, she offers me protection
a lot of love and affection
whether I'm right or wrong.

Bei diesen Zeilen hatte sie ihre freie Hand zur Faust geballt, an ihr Herz gelegt und die Augen geschlossen. Die Hand, die die Feder hielt, ruhte inzwischen auf dem Pult. Fasziniert hörte er zu. Unwillkürlich fragte er sich, über wie viele Facetten sie wohl noch verfügen mochte. Bis heute hatte sie ihm eine ordentliche Bandbreite offenbart. Frech, schnoddrig, intelligent, humorvoll, ja, verdammt, witzig und schlagfertig und überdies unheimlich mutig.

Das letzte Adjektiv schrieb er ihr zu, nicht weil sie sich ihm gegenüber im Ton vergriffen und zu einer Entschuldigung angesetzt hatte, sondern wenn er an die vergangene Nacht dachte. In seinen Augen gehörte schon beinahe Todesmut dazu, ein Gebäude wieder zu betreten, in dem man kurz zuvor wie ein Taschenmesser zusammengeklappt war. Er schüttelte den Kopf.

And down the waterfall
wherever it may take me
I know that life won't break me
when I come to call

Eine Drehung ihres Körpers, ein elegantes Einfangen der Melodie durch das Ausstrecken ihres Armes, der dabei durch die Abbildung fuhr und als sie wieder herumkam, war ihr Haupt gesenkt. Sie fuhr sich durch die Locken, so wie gestern Nacht. Übergangslos wurde ihre Stimme leiser, sie hob ihren Kopf und sang wahrscheinlich den Rest des Refrains.

she won't forsake me
I'm loving angels instead

Beim letzten Satz hatte sie die Augen aufgeschlagen und blickte ihn an.

Noch gefangen im Lied, dem Text, der Melodie, merkte sie nicht, wohin sie schaute und wie.

Er war schlichtweg überrollt. Aber was riss ihn am meisten mit? Er konnte sich diese Frage selbst nicht beantworten. Ihre Vortragsweise? Der Text? Schutz, Liebe, Zuneigung, egal, ob im Recht oder Unrecht - Engel.

Ihre Bemerkung von heute morgen scheuchte sein Gehirn auf. Eine Weile starrten sie sich stumm an.

Aniram senkte als erste den Blick.

"Das ist wunderschön, nicht?"

Sie wischte Robbie Williams wieder aus der Luft und drohte scherzhaft mit dem Zauberstab, der sich wohl eigenständig zurückverwandelt hatte.

"So, jetzt kennen Sie einen Muggelsong und einen Muggelsänger. Er ist übrigens Brite."

"Danke für Präsentation und Information. Muggel interessieren mich nicht ein bisschen, aber sollte es einmal notwendig sein, kann ich mitreden."

Professor Snape war froh, nicht nur eine Antwort herausgewürgt zu haben, die lediglich aus einem Wort bestand. Mit einem unterdrückten Lächeln applaudierte er langsam.

"Meine Hochachtung. Wenn Sie etwas tun, dann mit voller Hingabe. Sie haben meinen Horizont entschieden erweitert."

Das Wort entschieden gehörte definitiv in die Sparte Sarkasmus und es war ihm egal, ob und wie sie es interpretierte. Sie würde schon die richtigen Schlüsse ziehen, denn auf den Kopf gefallen war sie nicht.

Aniram verbeugte sich und ging wieder zum Tisch zurück. Zu ihrem Glück gab es diesen speziellen Zauber, aufgrund dessen sie den Trank ab und zu allein lassen konnte. Ob es etwas Ähnliches hier gab? Wäre interessant zu erfahren. Wenn sie sich Professor McGonagalls Reaktionen ins Gedächtnis rief, dann wohl eher nicht. Ohne ihr Dazutun hoben sich ihre Mundwinkel und sie zerschnitt die gereinigte Akelei-Wurzel, maß sorgfältig sie die genaue Menge ab und gab sie zum Trank. Mit ihrem Zauberstab markierte sie die nächste Zeile. Und seufzte.

Argwöhnisch kam es von hinten: "Was gibt es denn nun schon wieder?"

"Es ist ein bisschen öde. Jetzt muss der Trank eine halbe Stunde köcheln, bevor ich wieder daran arbeiten kann. Ich glaube, ich muss mir was einfallen lassen."

Snape wappnete sich gegen alles, was jetzt kommen könnte. Öde? Seit wann war Zaubertrankbrauerei öde?

"Wie verbringen Sie denn zu Hause Ihre Zeit zwischen den einzelnen Arbeitsschritten? SOLLTE ein Trank einmal eine halbe Stunde köcheln muss."

"Na, man darf doch nicht am Kessel festfrieren, oder?"

"Ich denke, Sie arbeiten an fünf Kesseln gleichzeitig?"

"Richtig, trotzdem haben wir zwischendrin noch Zeit."

Er gab ein undefinierbares Geräusch von sich. Zehn Tränke am Stück und dann noch zwischendurch herumalbern? Nach Möglichkeit ganze Opern aufführen? Er schüttelte den Kopf und schaute auf ihren Rücken.

"Ich glaube, das ist nicht nur ein TRICK, mit dem Sie Ihre Arbeitsgeschwindigkeit forcieren."

Aniram wackelte mit dem Kopf und entschied sich weder für eine Seit- noch eine Auf- und Abwärtsbewegung. Also konnte dieses Wackeln ein Ja oder Nein gleichermaßen ausdrücken.

Darüber hinaus hatte sie eigentlich mehr Initiative erwartet. War er heute wirklich so schwer von Begriff? Sie hoffte, dass er baldmöglichst konkret fragte, was man unter ‚Nicht festfrieren dürfen' oder ‚Zeit haben' verstand. Sonst wollte er doch auch alles wissen.

Doch allem Anschein nach zog er es vor, nicht selbst zu denken, sondern wieder einmal erleuchtet zu werden. Das konnte er gerne haben. Sie ging zwei Schritte zurück.

"Prim, Second, Tierce."

Sie hüpfte dabei locker herum und schwang ihren Zauberstab wie einen Degen.

Er holte tief Luft, massierte vorerst seine malträtierten Schläfen und lehnte sich dann beinahe amüsiert zurück.

"Wollen Sie mir ernsthaft einreden, Sie können fechten?"

Na endlich! Aniram schickte ein Stoßgebet nach Australien. Mit einem dicken Grinsen im Gesicht drehte sie sich um.

"Ich will es Ihnen nicht einreden, ich kann fechten."



Kapitel 17 - Das Duell


Aniram stocherte noch eine Weile mit ihrem Zauberstab in der Luft herum.

"Wissen Sie, Klingenparaden, Körperparaden, Stakkati und all der Kram, dem könnte ich wirklich alles abgewinnen. Nebenbei macht es unheimlich viel Spaß. Auch wenn Sie wenig Spaß verstehen, fechten können Sie allemal. Wollen wir wetten?"

Diese Worte ließ sie erst einmal sinken. Doch nicht allzu lange.

"Okay, sagen wir mal so, ob nun bewusst oder unbewusst ausgeführt, aber Sie haben schon einmal mit einer Septime gekontert und welcher Laie würde postwendend aus meinem Geschwafel die Tätigkeit des Fechtens ableiten? Nein, nein, Sie können das. Wollen wir?"

Auffordernd wedelte sie mit ihrem Zauberstab. Dass er heute aber wirklich so ausgesprochen geistesträge war! Aniram fragte sich, wie deutlich sie wohl noch werden musste.

Träge erhob er sich, ein undefinierbares Grinsen um die Mundwinkel.

"Nehmen Sie sich in Acht, Sie fordern einen Meister heraus."

"Ich hab bei einigen alten Meistern gelernt."

Er würde sich wundern, wie alt. Wenn er diesen Satz richtig interpretieren konnte, grenzte das schon an ein Wunder. Aber das war ihr im Augenblick egal, sie wollte sich doch nur bewegen. Der Zeitpunkt würde kommen, an dem er registrieren musste, dass sie nicht nur fechten konnte. Lächelnd prüfte sie die Schärfe ihres Zauberstabes.

"Also, wie sieht es aus? Ich würde den Meister gern kennen lernen. Vielleicht hat er seine Meisterin gefunden?"

Dieser Hieb, ausnahmsweise nicht mit dem Zauberstab versetzt, musste noch sein, der ging runter wie Öl.

"Machen wir uns eine Planche? Bitte, sonst wird diese halbe Stunde unheimlich langweilig."

Da er jetzt um den Schreibtisch herumgekommen war, schoss sie übergangslos auf ihn zu und überrannte ihn mit Prim, Second und Tierce. In schneller Abfolge kombinierte sie die Klingenbewegungen, um dann erstaunt innezuhalten.

"Oh, Sie haben sogar pariert und sich zu einer Riposte hinreißen lassen. Bravo. Aber ich bin mir sicher, weiter als bis drei können Sie nicht zählen."

Gähnend wandte sie sich ab und stapfte wieder auf den Kessel zu, in der Hoffnung, dass diese Herausforderung wirkte.

Jetzt reichte es ihm wirklich. Mit diesen Attacken hatte sie ihn eben völlig überrumpelt. Aber wenn sie ein Duell haben wollte, sollte sie es bekommen. Wenn es auch ein außergewöhnliches Duell war. Bei Merlins Unterhosen, welche gestörten Menschen schlugen mit dem Zauberstab um sich im Wahn, es seien Degen?

Dennoch, diese Chance wollte er sich keinesfalls entgehen lassen. Schon um ihr zu beweisen, dass er ein Meister war.

Sie hatte Recht, er konnte fechten. Diesmal würde er ein für alle Mal dafür sorgen, dass sie unterlag.

Schnell sorgte er mit seinem Zauberstab dafür, dass die Schulbänke an die Wand krachten und somit genügend Platz für zwei Fechter war. Nicht nur genügend, sondern sehr viel Platz.

Ein kleines Stimmchen, das er allerdings schnell mundtot machte, sagte ihm, dass er gerade im Begriff war, etwas noch nie da Gewesenes zu tun. Sein anderes kleines Stimmchen konterte mit einem trotzigen ‚Na, wenn schon, wann habe ich die Gelegenheit zum Fechten?'

Außerdem war er sich absolut sicher, dass sie nicht lange durchhalten würde. Er öffnete seinen Umhang, nahm ihn ab und warf ihn beiseite.

"Das käme auf einen Versuch an, Miss Hawkwing."

Aniram drehte sich um und konnte nun wirklich ein Funkeln in den Augen nicht unterdrücken. Ihr Umhang wanderte in dieselbe Ecke und sie wies mit ihrem Zauberstab auf die eiligst errichtete Planche.

Es blieb lediglich die Frage im Raum hängen, was er unter einer Planche verstand. Der ganze Kerker war leergefegt.

"Wie ich sehe, übertreiben Sie immer noch hoffnungslos, wenn Sie etwas anderes zaubern. Will ich ein Feuer, sorgen Sie für einen Vulkanausbruch, will ich eine Planche, stehe ich mitten im Outback."

Die Planche war wirklich so aalglatt wie das Outback an vielen Stellen und machte ihre Hoffnung auf ein Fechten im Jean-Marrais-Stil zunichte. Hatte sie ihn aber nun schon so weit bekommen, dass er überhaupt fechten wollte, focht sie auf allem.

Hoch erhobenen Hauptes begab sie sich in die Mitte, glitt in die lockere Beinposition, hob den linken Arm nach oben und hielt mit angewinkeltem Arm den Zauberstab vor sich.

"En garde! Près?"

Ihrem Gegenüber räumte sie dieselbe Möglichkeit des Aufbaus ein und erwartete seine Bereitschaft.

"Ständig am Meckern, Hawkwing? Allez!"

Kurze Zeit später hallte der Kerker von eigenartigen Begriffen wider. Sie schlugen sich im Wechsel Prim, Second, Tierce, Quart, Quint, Sixte, Septime und Oktave um die Ohren.

Der dabei gezeigte Körpereinsatz konnte allerdings nicht konträrer sein. Irgendwann hielt sie inne.

"Stooooopp! Oh Mann", Aniram fuchtelte herum, "können Sie nix weiter als das? Das nennen Sie einen Meister? Keine Einladung, keine Finte, keine Battuta, keine Imbroccata, nur ein bisschen Passanta Sotto, Parade und Riposte? Das ist jämmerlich, was sie draufhaben. Soll ich Ihnen ernsthaft ein "D" für "Defeat" eintragen?"

Es stimmte, er hatte sich lediglich auf ein gutes Parieren beschränkt, sich jedoch Angriffe verkniffen. Aber mit dieser Provokation hatte sie ihn genau da, wo sie ihn wahrscheinlich haben wollte. Ob sie das wusste?

"Natürlich nicht, ich lege Wert auf ein V. Also noch mal von vorn. En garde."

Erneut gingen sie in Schlagabtausch. Diesmal wesentlich heftiger. Während er auf ihre Schultern achtete, fand er trotzdem noch Zeit, kurz in ihre Augen zu schauen. Wie er bereits mehrmals festgestellt hatte - wenn sie etwas tat, dann mit hundertprozentigem Körpereinsatz.

"Wie wäre es mit einer Oktave? Jetzt machen Sie doch endlich mal was Anständiges! Wie alt sind Sie überhaupt? Ich meine, für den Fall, dass ich vielleicht mehr Nachsicht walten lassen sollte."

Spöttelnd, aber dennoch konzentriert hieb sie auf ihn ein und trieb ihn zwei Schritte zurück.

"Anständig? Ich kann Ihnen zeigen, was anständig ist. Aber dann vergeht dir Hören und Sehen. Und mein Alter geht dich absolut nichts an."

Sie knurrte: "Dann komm endlich aus deiner Höhle, du alter Brummbär."

Mit einem breiten Grinsen schoss er auf sie zu und eröffnete diesen Gang. Wirklich bewundernswert, was sie da an den Tag legte. Er stellte sich vor, es wären richtige Degen, ein richtiges Duell. Einfach traumhaft. Er fühlte sich im siebten Fechterhimmel.

Aniram schwang ihren Zauberstab so schnell in der Luft und erwiderte seine Vorgaben, dass ihr Gesicht fast nicht mehr zu sehen war. Es wurde vom herumwirbelnden Zauberstab verwischt. Genauso arbeitete sie an den Tränken. ZU schnell für einen normalen Menschen.

Doch als er sich mit diesen Gegebenheiten auseinandersetzte, überkam ihn schlagartig die Erkenntnis, dass er nicht einen einzigen fechtenden Schüler in Hogwarts kannte.

Verflucht! Diese kurze Zeit der Unachtsamkeit war viel zu viel. Vom Schwung einer Halbkreisparade getrieben beschrieb sein Zauberstab einen eleganten Bogen und landete an der Wand, von der er abprallte und auf den Boden flog. Schon das Geräusch bereitete ihm einen körperlich unerträglichen Schmerz. Nun gut, sie bekam ein V und er ein D.

"Habe ich Sie mit meiner Neuvième dermaßen aus der Fassung gebracht? Darf ich davon ausgehen, dass Sie sich geschlagen geben?"

Ihren Zauberstab hielt Aniram dicht an seine Kehle.

"Wenn es sein muss."

Er ließ sich zu einem kurzen Brummeln herab, denn das gefiel ihm überhaupt nicht. Aber dass sie ihn besiegt hatte, musste sie doch nicht mehr in der Erinnerung behalten. Beinahe hätte sich dieses hinterhältige Grinsen, das hinter seiner Maske lauerte, auf sein Gesicht geschlichen.

"Auf die Knie!"

"Meinen Sie nicht, damit sprengen Sie die Grenzen? Weshalb sollte ich vor einem Zauberstab auf die Knie sinken?"

Er wollte an ihr vorbeispazieren, als ihn ihr spöttischer Tonfall aufhielt.

"Zauberstab?"

Aniram wirkte leicht amüsiert. Snapes Augen nahmen nur etwas Glänzendes wahr. Das war ein Säbel, der da unter seinem Kinn hing. Definitiv ein Säbel.

"Oh nein, ich Schusselchen, ich bin doch in Schottland, nicht wahr? Also, her mit dem Zweihandschwert."

Wenn seine Augen in der Lage dazu wären, ihren angestammten Platz zu verlassen, dann würden sie es jetzt auf der Stelle tun. So etwas hatte er noch nie gesehen. Doch, beim Muggel-Sonorus. Was konnte dieser Zauberstab noch? Er schüttelte den Kopf.

Für kurze Zeit hielt sie wieder ihren Zauberstab in der Hand und meinte locker: "Wird mir doch zu schwer. Ich kann nicht verstehen, wie die früher damit rumgelaufen sind, von der Handhabung ganz zu schweigen."

*zack* Ein Säbel. "Also, auf die Knie."

Professor Snape rührte sich nicht. Er dachte nicht im Traum daran.

Ein Aufblitzen zog über ihr Gesicht.

"Oh, ob das Ding auch schneidet? Kleiner Skeptiker. Dann hoffe ich im Interesse Ihres wundervoll nachtschwarzen Umhangs, im Reparieren sind Sie Meis-ter."

Mit dem Aufrufezauber holte sie seinen Umhang, ließ ihn in der Luft schweben und beschrieb mit dem Säbel vor seinem Gesicht einen vollendeten Kreis. Es ertönte ein kurzes Ratschen und sein Umhang hing in zwei Teilen in der Luft. Die Säbelspitze widmete daraufhin ihre Aufmerksamkeit wieder voll und ganz seiner Kehle.

"Naaa? Lange kann ich das nämlich nicht mehr halten."

Er wusste nicht warum und wann, aber plötzlich kniete er vor ihr. Viel zu spät dämmerte ihm, was er da tat. Merlin, nein! Schon wollte er wieder aufspringen, als er stärkeres Gewicht auf seiner Schulter fühlte. Snape warf einen zaghaften Blick auf seine linke Schulter und erspähte ein Schwert.

Ein richtiges Schwert? Beinahe war er versucht, den heutigen Abend wegen Sauerstoffmangel und folglich nicht richtig funktionierendem Gehirn ins Reich der Illusionen zu befördern.

Vom Schwert hatte er genug gesehen, also schaute er nach oben in ihr Gesicht, das ihn mehr als breit angrinste.

"Das könnt ihr mit euren Stecken nicht, hm?"

Nachdenklich schaute sie ihn an. "Die Haare", sie glitt mit dem Schwert darunter, "die Haare sind zu lang. Es sei denn, ich bin an einen Highlander geraten. Film gesehen? Ich glaube kaum. Wie es aussieht, ist dir "Highlander" kein Begriff. Ich finde, wir zwei sollten bei Gelegenheit unbedingt mal ins Kino gehen. Auch wenn Christopher Lambert einen Silberblick hat. Also Unwürdiger…"

Sie stellte sich in Positur und begann zu reden.

"Ich, Aniram Hawkwing von Australien, vom vor mir Knienden irrtümlicherweise als Aniram die Unmögliche, Aniram die Unausstehliche und Aniram, die nicht mein Bad benutzen darf Bezeichnete, schlage dich, Severus Snape, mit der mir von Merlin und seinem Bart verliehenen Macht zum Ritter. Mit diesem Titel ist die Herrschaft über den Kerker und alle angrenzenden Labore verbunden."

Würdevoll trat sie einen Schritt zurück und machte aus dem Schwert wieder in einen Zauberstab.

"Erhebt Euch, Sir Severus Snape!"

Sie zuckte kurz zurück. "Meine Güte, so viele S in einem Namen, unglaublich."

Noch nie hatte ein Mensch Professor Snape mit heruntergeklapptem Unterkiefer gesehen, aber sie kam in diesen Hochgenuss.

Ritter? Er war ein Ritter? Und was interessierten ihn Film und Kino und Silberblick zusammen? Gar nichts. Da beschäftigte ihn schon mehr die Frage, was sie aus ihrem Zauberstab noch machen konnte.

Mit Schwung steckte Aniram ihren Zauberstab in eine imaginäre Schwertscheide. Natürlich flog er nach hinten und schlitterte eine Weile auf dem Boden.

Mit den Worten "Huch, mein Schwert" jagte sie ihrem Zauberstab hinterher.

Gerade noch im Hochrappeln begriffen, musste Snape unwillkürlich grinsen und schaffte es nicht, sich aus seiner Position hochzustemmen. Nicht deshalb, weil sie ihrem ominösen Schwert hinterher jagte, sondern WIE sie es tat. Auf allen Vieren robbte sie ihrem Zauberstab hinterher und er sah nur noch ihren Hintern.

Er begann zu lachen, erst leise, dann immer lauter. Er stellte sich gerade vor, wie jemand normalerweise aussah, der gerade eine Person zum Ritter geschlagen hatte. Es entsprach dem Erscheinungsbild von Miss Hawkwing in keiner Weise.

Aniram versuchte sich umzudrehen und linste durch ihre Locken. Wenn ihr Schwert schon mal den Abgang machte, dann richtig. Ärgerlich krabbelte sie unter den Arbeitstisch.

"Was machen Sie denn, Sir, wenn sich Ihr Zauberstab verabschiedet? Sir."

Er erhob sich und ging langsam nach vorn, um mit dem verschüchterten Tierbaby unter seinem Tisch zu sprechen.

"Mit Sicherheit nicht dasselbe wie Sie. Denn da ich - obwohl europäisch - doch ein klein wenig höher entwickelt zu sein scheine, würde ich es doch lieber mit einem Aufrufezauber versuchen. Ich bin mir sicher, auf diese Art und Weise halte ich mein Arbeitsinstrument schneller wieder in der Hand."

Spott, Spott, Spott hagelte auf sie ein. Sie hätte ihn wirklich ZERschlagen sollen. Zornig wollte Aniram auffahren, das einzige Hindernis zwischen der Zielperson ihrer Schimpfkanonade stellte der Arbeitstisch dar. So schnell wie möglich wuchtete sie sich hoch.

"Sie undankbarer Wicht, Sie...!"

Weiter kam sie nicht, denn die Konsistenz der Arbeitsplatte war stabiler und härter als ihr Kopf. Das würde wehtun.

Mit einem saftigen Fluch auf den Lippen kroch sie unter dem Tisch vor und fragte sich wirklich, ob sie eine Umleitung fahren sollte. Die ritterlichen Schuhe, die sie blockierten, bewegten sich keinen Zentimeter. Ihr Blick pendelte zwischen der perfekten Schuhputzarbeit des Hauselfen und den Kerkerfliesen hin und her, als merkwürdige Geräusche an ihr Ohr drangen.

Snape, der sich göttlich über die am Boden hockende selbst ernannte Queen amüsierte, schaute alarmiert nach rechts. Sollten diese australischen Dickschädel wirklich so kräftig sein, dass sie einen Arbeitstisch zum Schwanken brachten? Mit dem Schwanken verbunden lief wohl eine heftigere Reaktion im Kessel ab als vorgesehen.

Die Explosion, die folgte, stellte alles in den Schatten, was er je in seiner Lehrertätigkeit gesehen hatte. Ihre Lautstärke, Farbenpracht und räumliche Ausdehnung war gewaltig. Sie war so gewaltig, dass er sie unwillkürlich mit dem Urknall verglich.

Aniram überlegte nicht, sondern richtete ihren Zauberstab blitzschnell auf den Kessel und brüllte: "ASCHALEA!"

Dass sie dabei, um genügend Stütze zu haben, ritterliche Knie umarmte, war vollkommen nebensächlich.

Aus der Spitze ihres Zauberstabes schoss ein Fächer blassvioletten Dunstes, der die Temperatur im Kerker merklich abkühlte. Dieser Dunst kroch rasend schnell an der Säule empor und klebte sich an jedes noch so kleine Teilchen der Fontäne.

Erst dann rappelte sie sich auf und kam dazu, dieses Wunderwerk zu bestaunen.

"Was war das?"

Diese Frage folgte ausnahmsweise den Gesetzen der Interferenz. Gleichzeitig, gleich laut, gleich ungläubig. Lediglich der Hintergrund war ein vollkommen anderer.

Sie wollte wissen, weshalb der Trank explodiert war, trotz aufgehalster träger Reaktionszeit.

Er meinte den Zauberspruch, der sich in seinen Ohren wie ein Donnergrollen angehört hatte.

Mit anderen Worten, es herrschte ein perfektes Verstehen.

"Was war das?" Er glaubte, diese Frage erneut stellen zu müssen.

"Das frag ich Sie doch die ganze Zeit, Sir."

Ihre Augendeckel klapperten dabei so unschuldig, als könnte sie kein Wässerchen trüben.

Professor Snape reagierte kaum darauf. Beinahe war es so, als hätte sie nichts gesagt. Zumindest nichts, das ihn erreichte. Um zu verdeutlichen, dass er eine Antwort erwartete, wiederholte er seine Frage.

"Ich meine den Zauber. Was ist das?"

"Ach so, ein simpler Erstarrungszauber, manchmal recht nützlich, wenn man sich vom Trank entfernt. Oder aber, wenn er versucht, sich selbstständig zu machen. So wie der da."

Mit dem Zauberstab wies sie auf das abstrakte Gebilde, was vor ihnen in der Luft eingefroren war. Das Aussehen erinnerte an eine Fontäne gigantischen Ausmaßes. Sie schimmerte überwiegend in Blautönen, bediente sich aber durchaus auch anderer Farben und war von kleinen Querschlägern durchsetzt, die wie Stachel abstanden. Das ganze Gebilde wurde von vielen kleinen Tropfen eingerahmt, bei denen sich Professor Snape nicht sicher war, ob sie zur Explosion gehörten oder ein Resultat des Zaubers waren.

Fakt war, dass das, was vor ihm hing, bei genauer Spektralanalyse einem Regenbogen wirklich Konkurrenz gemacht hätte. Er musste den Kopf in den Nacken legen, um sich zu vergewissern, dass die Decke seines heißgeliebten Kerkers standgehalten hatte. Nicht auszudenken, wenn sie fehlte.

Snape war sich dessen bewusst, dass er sich die Frage, ob dieser Zauber mit seinem Zauberstab ausführbar war, verkneifen konnte. Die Antwort konnte er sich nicht nur denken, er wusste sie.

Sie bezeichnete ihn als nützlich. Sie ahnte gar nicht, wie nützlich. Er trat einen Schritt zurück und ließ seinen Blick zwischen dem erstarrten Trank und ihr hin und her pendeln. Seine Lippen zuckten.

"Einmal von der unerfreulichen Tatsache der Verschwendung von Kräutern und Essenzen und der anscheinend unnütz mit diesem Trank verbrachten Zeit abgesehen würde ich trotzdem sagen, Picasso war ein Stümper gegen Sie."

Nicht nur in seinem Gesicht konnten Augenbrauen nach oben wandern. Sie taten es auch in solchen, die sich mit dem dazugehörigen Körper wie ein Fragezeichen nach ihm umdrehten. Aniram trat ebenfalls einen Schritt zurück und hievte das Wunderwerk mittels Schwebezauber aus der Halterung.

Langsam, als wollte sie jede Einzelheit aufnehmen und nichts übersehen, lief sie um den Trank herum. Auf seiner anderen Seite angekommen drückte sie das Gebilde sanft zurück und senkte den Zauberstab.

"Picasso?" Ihre Frage klang voller Zweifel.

"Picasso." Seine Antwort ließ keinerlei Zweifel zu.

Aniram verschränkte die Arme vor der Brust und seufzte tief.

"Dann bin ich auf den Tag gespannt, an dem ein echter Rubens aus dem Kessel steigt."

Sie schaute zu ihm hoch, ein breites Feixen im Gesicht.

"Eine interessante Vorstellung." Sein Blick konnte sich einfach nicht von diesem eigenwilligen Konglomerat lösen. Rubens. Wie kam sie auf Rubens? "Wirklich interessant." Er brachte es fertig, keine Miene zu verziehen.

"Wenn ich mir Ihr grübelndes Gesicht so ansehe, Sir, ist das vielleicht keine allzu gute Idee."

"Und warum? Bis eben fanden Sie es äußerst erheiternd."

"Rubens ist ja nicht gerade für Strichmännchen bekannt, Sir. Wenn DAS da nach Ihren Worten ein Picasso ist und dennoch über ein dermaßen einnehmendes oder auch ausladendes Wesen verfügt, dann möchte ich mir lieber keinen Rubens vorstellen, Sir."

Es entbehrte nicht einer gewissen Komik, sich so etwas vorzustellen. Natürlich war sie neugierig, wie das wohl aussehen könnte, fand aber, dass sie für heute genügend angestellt hatte.

Mit einem lautstarken Räuspern fragte sie stattdessen: "Haben Sie damit gerechnet, dass er in die Luft geht?"

"Natürlich muss man bei unbekannten Rezepten immer damit rechnen, noch dazu, wenn sie mit Kandinsky-Gift versetzt sind", er grinste sie hämisch an und erntete ein ziemlich freudloses Lächeln. Damit hatte er sie endlich einmal ausgebootet und war sich sicher, das würde sie nie vergessen geschweige denn verzeihen.

"In meiner Laufbahn als Lehrer sind schon viele Tränke explodiert, aber sie hatten alle nicht solche Ausmaße."

Er grübelte weiter, ausnahmsweise nicht von Rubens verfolgt.

"Ich schätze, wenn ich die Erstarrung wieder aufhebe, reißt es nicht nur ein Loch in die Kerkerdecke, sondern schießt gleich bis zum Dach." Sie legte den Kopf in den Nacken. "Schade, dass der Ravenclaw-Turm nicht direkt über dem Kerker liegt, sonst würde ich dafür plädieren, dieses Wagnis einzugehen, weil ich dann viel, viel schneller oben bin. Aber Spaß beiseite, durch Wände gehen können wir nicht, also können wir das Ding auch nicht nach draußen befördern und vielleicht vor dem Schloss einen tiefen Krater reißen. Was machen wir damit, Sir?"

"Da Sie selbst schon alle Optionen aufgezählt haben, die in Frage kämen - nicht viel, oder? Eigentlich schade drum, denn er erinnert mich an Ihr Leid, Ihre Sorge, vergiftet zu sein, verunstaltet auszusehen, schade, wirklich schade. Ausgesprochen bedauerlich."

Sie legte ihre Hand auf seine Schulter und lehnte ihren Kopf gegen seinen Arm.

"Ich wusste gar nicht, dass Sie ebenso nostalgisch veranlagt sind, Sir. Es war jedes Mal ein Erlebnis, Ihre Gesichtszüge in verschiedene Richtungen davonfahren zu sehen, Sie sprachlos zu erleben, Ihre…"

"Evanesco!"

Bevor sie noch weiter aufzählte, was sie alles mit diesem Trank verknüpfte, ließ er dieses Gebilde gemeinsamer Erinnerungen verschwinden, um sofort nachzuhaken.

"Meine... was, Miss Hawkwing?"

"Oh, das war aber jetzt unfair, Sir. Ich wollte mich noch ein bisschen erinnern."

Sie kippte fast um, so rabiat hatte er sich zu ihr umgedreht. In seiner Stimme lag etwas Lauerndes.

"Erinnern?"



Kapitel 18 - Das Verbot


Aniram war kurz davor, lauthals zu fluchen. Hoffentlich hatte sie sich jetzt nicht verraten. Mit hilflos zuckenden Schultern wanderte ihr Blick zum Schreibtisch. Kurzer Hand beförderte sie beide Pergamente vor ihre Nasen.

Unwillig nahm Snape zur Kenntnis, dass sie ihm tatsächlich und absolut kaltschnäuzig ein D eingetragen hatte. Aber es war nur fair, sie hatte ihn überrascht. In diesem Moment wuchs er über sich selbst hinaus und verpasste ihr ein V.

Im tiefsten Inneren war sie erleichtert, auf diese Art und Weise um das Wort erinnern herumgekommen zu sein. Dieser Ausweg war einfach fantastisch und so nickte sie zufrieden.

"DARAN will ich mich, Sir. Wollen Sie mir ernsthaft Glauben machen, Sie legen keinen Wert auf eine Revanche, Sir?"

"Nichts liegt mir ferner als das. So einfach kommen Sie mir nicht davon. Irgendwann", er hob drohend den Zauberstab in Ihre Richtung, "irgendwann schlage ich Sie."

"Aber Sir", etwas vorwurfsvoll schaute sie ihm in die Augen, "Sie wollen mir doch nicht ernsthaft einreden, Sie schlagen Mädchen? Ich bin erschüttert, Sir."

"Mädchen? Für diesen kleinen Moment verwandle ich Sie kurzfristig in eine Frau, oder besser noch in einen Mann, den darf ich schlagen."

Ein sehnsuchtsvoller Seufzer beendete seinen Satz und setzte damit auch seinem Wunschdenken ein Ende. Nebenbei grübelte er, was er denn heute vergessen lassen konnte.

Das Resultat war niederschmetternd: So gut wie nichts.

Nicht die Aufdeckung ihres Schwindels, weil er ihre Erfindung war. Sie würde sich wohl mehr als wundern, von heute auf morgen nichts mehr von ihrem Retardationszauber zu wissen. Schon allein darauf zu kommen, müsste ihr - wenn sie eine Slytherin wäre - hundert Punkte einbringen. Diesen herrlichen Fechtgang? Ebenfalls nein, nach dieser Bettelei um eine Planche. Den Ritterschlag? Erst recht nicht, denn der resultierte aus dem Fechtgang. Und auch alles Folgende nicht.

Wie mit einem Messer fuhr sie in seine Gedanken und unterbrach sie radikal.

"Wenn wir das nächste Mal fechten, können Sie dann bitte die Bänke stehen lassen, Sir? Bitte, Sir."

"Und wozu soll das gut sein?"

Leicht verärgert fuhr sie auf.

"Sie kennen wirklich keine Mantel- und Degenfilme. Da kann ich ja von Glück reden, dass Sie wenigstens mit dem Degen umgehen können. Ach was, wer nicht mal "Highlander" kennt, kennt auch kein Kino und der kennt insgesamt keine Filme." Aniram raufte sich kurz die Haare. "Aber können Sie sich nicht ein kleines Hindernisfechten vorstellen, Sir? So richtig mit auf den Tisch springen und von einem Tisch zum andern? Ich verlange ja nicht mal Lianen, Sir. Wirklich nicht, Sir."

"Wie Sie bemerkt haben, bin ich durchaus in der Lage, einen Degen zu führen", fauchte er ätzend. "Allerdings verspüre ich nicht die geringste Lust, meinen Kerker in einen Urwald zu verwandeln. Oder auch verwandeln zu lassen", schloss er mit einem strafenden Blick auf ihren Zauberstab.

Frohgemut gab sie zurück: "Na von mir aus, aber die Bänke bleiben, ja? Bitte, bitte, Sir."

"Ich weiß zwar nicht, was das bringen soll, aber..."

Rigoros wurde er unterbrochen. Unmittelbar vor seinem Gesicht tauchte ein fröhliches Leuchten auf.

"Es bringt Spaß, Sir."

Er verschränkte die Arme vor der Brust und schaute auf sie hinab. Ihn interessierte nicht im Mindesten, ob man irgendeiner Tätigkeit Spaß abgewinnen konnte. Alles war Arbeit, war Forscherdrang, war Disziplin.

"In welchem Unterricht fechten Sie denn? Mich würde wirklich interessieren, wo Sie so viel Platz haben, um über Tische zu turnen."

"Oh", lachend klopfte sie auf seine Brust, "das ist der Vorteil des Nichtvorhandenseins von Unterrichtsmöbel, Sir. Oder überhaupt Möbel, nicht wahr, Sir?"

"Kei - ne Mö - bel."

Professor Snape ließ die Worte über seine Lippen rinnen, als wären sie mit dem Retardationszauber versehen.

Dann erst, mit einer gehörigen Portion Verspätung, gingen im gesamten Schloss die Fackeln an. Schlagartig. Alle.

Sir. SIR? Sie nannte ihn wirklich und wahrhaftig SIR? Allerdings bezweifelte er, ob das als gutes Zeichen zu werten war, denn der Tonfall ging ihm durch Mark und Bein. Es klang äußerst aufreizend und provokant, beinahe geschäftsschädigend und so, wie sie dieses Wort aussprach, entehrte sie diesen Titel. Bei ihrem "Sir" beschlich einen unwillkürlich das Gefühl, "Zonko's" sämtlicher Artikel beraubt und aus Versehen mit dem Schildchen Sir versehen zu haben.

Er war sich sicher, dass sie ihn nur aufziehen wollte, bis er in die Luft ging. Eine kleine Vorwarnung hielt er deshalb für angebracht.

"Hören Sie mit dem Sir auf. Das ist ja unerträglich. Noch dazu, so wie Sie es aussprechen." Zur Bekräftigung schüttelte er sich.

Aniram war schlichtweg entsetzt.

"Aber Sir, bitte Sir, jetzt wo ich endlich einen Grund habe, Sie Sir zu nennen, jetzt darf ich das nicht mehr, Sir? Ich bin entsetzt, Sir."

"Aufhören, sofort aufhören!"

Dass er jemals von jemandem verlangte, ihn NICHT mir Sir anzusprechen, hätte er sich vor ihrem *zack, da bin ich* nie träumen lassen. Seine Hände umschlossen die Kante des Arbeitstisches. Wenn sie nicht bald den Mund hielt, würde er sich vergessen, soviel stand fest.

Mit der süßesten Stimme trällerte sie: "Aufhören, Sir? Ich denke nicht im Traum daran, Sir. Oh nein, wer", sie piekste ihn mit ihrem Zauberstab in die Seite, "wer hat von mir verlangt, dass jeder Satz, den ich an ihn wende, mit einem respektvollen ‚Sir' zu enden hat, Sir? Und jetzt sind Sie sogar ein richtiger Sir und..."

"Hör endlich auf mit diesem dämlichen Sir-Gebrabbel!"

Er fuhr mit einem Wutschrei herum und umklammerte ihre Kehle. Zu seiner Überraschung stellte er fest, dass ein unter Atemnot leidender Mensch mit mittlerweile knallrotem Kopf immer noch grinsen konnte. Breit grinsen konnte.

Die Antwort auf diesen nicht ausgesprochenen und zu Ende geführten Gedankengang hing in Sekundenschnelle in der Luft. Seine X-Akte. Sie hing aufgerollt in der Luft und die Spalte "Ich bring dich um" leuchtete einladend.

Fassungslos saugte sich sein Blick daran fest und wanderte wieder zurück zu ihr. Sein Mundwinkel zuckte und er lockerte seinen Griff. Die Hände nahm er aber nicht weg. Sie lachte immer noch über das ganze Gesicht, bis sie irgendwann krähte:

"Mach dein Kreuz. SIR!"

Diese Bemerkung, die hier im Kerker schon einmal gefallen war, brach in ihm einen Damm. Er tat etwas, was er noch nie getan hatte. Er lachte aus vollem Herzen. Ins Gesicht einer Schülerin.

Die erst verdutzt war und dann in das Lachen einfiel. Es wirkte befreiend. Sie dachte daran, wie viele Wochen sie aufgewendet hatte, um ihn endlich einmal richtig wütend zu sehen. So viele Wochen, bis sie ihn endlich einmal bis zur Weißglut gereizt hatte und jetzt?

Mit allem hätte sie gerechnet, aber nicht mit einem Lachen. Sein Kopf lag auf ihrem und trotzdem trat sie jetzt einen Schritt zurück und fixierte seine Augen.

"So habe ich Sie noch nie gesehen. Sie sehen so verdammt gut aus, wenn Sie lachen."

Kaum war ihr dieser Satz über die Lippen gerutscht, zuckte sie innerlich zusammen. ‚Distanz, Mädchen, Distanz, das ist nicht Okuna.'

Die Intimität, die sie zu Hause mit ihrem Professor teilte, konnte sie hier nicht voraussetzen. Aber heute, zum ersten Mal, glaubte sie die Spur eines Antipoden zu erkennen. Eine winzige nur, aber sie war da. Okuna Komplimente zu machen, ihm zu sagen, wie verdammt gut er aussah, das war etwas völlig anderes. Dieser Satz war ihr vollkommen unbedacht herausgerutscht und sie hatte sich nichts dabei gedacht.

Doch sie hätte sich zusammennehmen müssen, zumal sie nun mittlerweile wusste, wie hier das Lehrer-Schüler-Verhältnis gestaltet war. Für ihre Begriffe wirkte es manchmal zu steif, irgendwie einem Protokoll unterlegen und wehe dem, der dagegen verstieß. Ihr fehlte der zwischenmenschliche Touch, das private, das sie mit ihren Lehrern sonst teilte. Wozu durchaus solche kleinen Neckereien gehörten. Ohne sich dessen bewusst zu sein wurde ihr Grinsen breiter.

‚So, Sev, du siehst verdammt gut aus? Warum hat dir das bis heute keiner gesagt?'

Die andere Stimme in ihm gab die Antwort: ‚Weil du nie lachst.'

Er entschloss sich, ihren kleinen Ausrutscher zu überhören. Ihn scherte weniger die Tatsache, ob sie es womöglich als peinlich empfinden würde, ausgerechnet ihn als gut aussehend zu bezeichnen, sondern mehr der Fakt, mit einem Aufgreifen ihrer Bemerkung und womöglich noch Ausdiskutieren etwas auszuwalzen, das er nicht wollte. Nach seiner eigenen, gnadenlosen Einschätzung war er alles, aber nicht gut aussehend.

"Ich erwarte aber auch, dass das niemand erfährt, wie ich aussehen kann." Wie mit einem Peitschenknall durchschnitt er mit diesem Satz ihr Lachen.

Aniram war drauf und dran, ihm einen Vogel zu zeigen. Wieder einmal. Stattdessen ließ sie sich lediglich dazu hinreißen, ihn an ihre Bemerkung von heute morgen zu erinnern. Dann schüttelte sie den Kopf.

"Un-mög-lich, hat Ihnen das schon mal jemand gesagt, Sir?"

Dieser sogenannte Ehrentitel kam wiederum dermaßen in die Höhe geschraubt zum Vorschein, dass er zischend die Luft durch die Zähne zog.

"Nein, hat noch niemand", quetschte er hervor.

"Dann wird's ja mal Zeit." Belustigt und mit verschränkten Armen stand sie vor ihm.

"Warum haben Sie eigentlich gegrinst? Wenn Sie so weitermachen, können Sie Ihre Mundwinkel im Nacken sogar mit einem Schleifchen zusammenbinden."

Interessiert, wie von wissenschaftlicher Neugier geplagt, schlich er um sie herum, um die Machbarkeit seines Vorschlags zu überprüfen.

Was er erntete, war wiederum ein lautes Lachen. "Na gut, wenn ich damit Ihre maskuline Neugier befriedigen kann, die selbstverständlich keine ist, dann habe ich gegrinst, weil das, was ich mit Ihnen mache, normalerweise zu Hause unsere Lehrer mit uns machen. Schwer vorstellbar, hm? Sir."

Unendlich langsam lief er weiter. Er stand immer noch hinter ihr und brachte seinen Mund nahe an ihr Ohr.

"WAS machen Ihre Lehrer mit Ihnen?"

Aniram wirbelte auf dem Absatz herum und platzte heraus: "Uns zur Weißglut bringen, bis wir womöglich die Beherrschung verlieren oder so."

Er spöttelte: "Und wozu soll das gut sein?"

"Mentales Training. Das brauchen wir für die Traumzeit. Denn wer dort die Beherrschung verliert, kann sich begraben."

"Aha."

Das musste reichen. Dieser kurze, nicht gerade von ausgefeilter Rhetorik geprägte Satz musste einfach genügen. Allerdings war es sehr schade, dass sie nicht weiter sprach. So sehr sie auch sonst plapperte, auf genauso wenig Worte beschränkte sie sich, wenn es um ihre Heimat ging.

Albus hatte mit seiner Vermutung doch die richtige Nase bewiesen. Heute Abend hatte er zumindest drei wichtige Informationen erhalten. Keine Möbel, Lehrer bringen Schüler zur Weißglut und - das elektrisierte ihn förmlich - mentales Training.

‚Und sie haben Zauberstäbe, die sich verwandeln, vergiss das nicht.' Diesen Fakt hätte er wirklich beinahe vergessen.

Sie stand vor ihm, griff sich an ihren Hals und rieb sich in diebischer Freude die Hände.

"Magdalena wird enttäuscht sein."

Dieser Gedankensprung irritierte ihn. Wie kam sie jetzt vom mentalen Training und Beherrschung zu Magdalena?

"Wieso wird sie enttäuscht sein? Wovon?"

‚Oh Gott, Sev, mach dir für morgen Abend eine Liste, was du fragen willst. Oder ob du dich überhaupt zu einer Frage hinreißen lässt. Langsam wirkt es plump.'

Entnervt, von sich entnervt wollte er sich abwenden, als sie antwortete.

"Sie wissen ja, diese Spalte existiert schon eine Weile. Drin rumgekreuzt haben Sie noch nicht. Also sind Sie vielleicht unentschlossen, auf welche Art und Weise Sie mich umbringen wollen? Wie dem auch sei, ich habe Magdalena gefragt, welche Todesart Sie wohl bevorzugen würden. Ihre Antworten schwankten zwischen Aufhängen, Köpfen und - Ihrer Berufung folgend - Vergiften. Sollte ich dann immer noch leben - Vierteilen. Erwürgen war nicht dabei, Sir. Und deshalb denke ich, sie wird enttäuscht sein. Sir."

"Ich will das nie wieder aus Ihrem Mund hören, verstanden? Das klingt so... so..."

Beleidigt wandte sie sich ab. "Was denn, da unterbreite ich Ihnen schon verschiedene Möglichkeiten, mich umzubringen, und dann wollen Sie das nicht einmal hören, Sir? Ich bin entsetzt, Sir."

Mit dem Zeigefinger stach er auf sie ein. "Nein, die Optionen sind wirklich verlockend und ich werde mich bei Gelegenheit damit auseinandersetzen, welche ich nutzen werde. Aber was ich nie wieder hören will, ist dieses SIR. Das klingt mir zu…"

"Penetrant, Sir? Falsch, Sir? Zu süß, Sir?" Mit jedem Wort, was sie sprach, verfinsterte sich sein Gesicht, bis sie ihm endlich ein "Oh ja" entlocken konnte.

"Dann hätte ich das gerne schriftlich."

"Was wollen Sie schriftlich?"

Es war zum Verzweifeln, bekam er denn nie Oberwasser? Jetzt wusste er, wie Don Quijote gelitten hatte. Windmühlenflügel waren schwer, australische Windmühlenflügel wogen sicherlich das Zehnfache.

Mit allerletzter Kraft versuchte er sich die Frage zu beantworten, weshalb sie ihn immer wieder dermaßen sprachlos machen konnte. Dieses Ausgeliefertsein war völlig anders als das gegenüber Voldemort. Daran hatte er sich gewöhnt, das ertrug er, dort schottete er sich ab. Vielleicht weil er wusste, was auf ihn zukam. Hier aber? Sie schlug Haken wie ein Hase. Verfolgte eine Spur, die er nicht sehen konnte. Malte ein Muster, von dem anscheinend nur sie wusste, wie es auszusehen hatte. Oder sie hatte überhaupt kein Muster und quasselte einfach drauflos. Die letzte Option erschien ihm am wahrscheinlichsten.

"Ich hätte gern schriftlich, dass ich Sie nie wieder mit Sir anreden darf, Sir. Also", sie beförderte eine leere Pergamentrolle auf eine Schülerbank, "schreiben Sie."

Jetzt reichte es wirklich. Er glitt wie ein Schatten auf sie zu und fauchte: "Ich denke nicht im Traum daran."

Aniram schlug sich mit der flachen Hand vor den nicht ganz so flachen Schädel.

"Ich Dummerchen! Wie konnte ich bei Ihnen die Kenntnis des Schreibens voraussetzen? Die sichere Beherrschung der Buchstaben und ihre komplizierte Aneinanderreihung, so dass sie auch noch Sinn ergibt? Aber natürlich, wer den ganzen Tag nur kreuzt, passt wohl mehr ins antike Rom. Sir. Wie auch immer, wenn Sie sich weigern, dann werden Sie eben damit leben müssen, Sir."

Sie schlug Ihre Augen auf und ihr kesser Blick traf seinen finsteren.

"Wissen Sie was, ich bin ja kein Unmensch, nur Australier, also unterbreite ich Ihnen ein Angebot, welches Sie nicht ablehnen sollten, Sir. Soll ich für Sie schreiben, Sir? Nehmen Sie es mir nicht übel, aber im Augenblick sehen Sie aus wie ein Hochdruckkessel vor dem Explodieren, Sir."

"Es hat Sie nicht zu interessieren, wie ich aussehe. Wenn Sie solche Spielereien nicht lassen können und für alles und jedes eine X-Akte benötigen, dann schreiben Sie gefälligst."

Wenigstens das letzte Wort gab ihm so etwas wie Überlegenheit. Wenn das so weiterging, hockte ER irgendwann verängstigt unter dem Tisch.

‚Na, Sev, verängstigt vielleicht nicht gerade, aber unter dem Tisch.'

Konnte eine seiner beiden inneren Stimmen nicht einmal Ruhe geben? Wenn schon einmal diese unerklärliche Hawkwing ruhig war… Staunend schaute er sich um und tatsächlich, sie saß vor dem Pergament und schrieb. Abgesehen von der Tatsache, dass sie unaufhörlich grinste, steckte er doch mit einem Zucken seiner Mundwinkel weg, wie ihre Zunge dabei arbeitete. Als diktierte sie das Geschriebene. Außerdem war es viel Text, den sie ausnahmsweise nicht in der gewohnten Geschwindigkeit schrieb. Seltsam.

Zufrieden betrachtete Aniram ihr Werk. Als sie fertig war, erhob sie sich und überreichte ihm mit einem aalglatten Säuseln die Feder.

"Ihre Unterschrift, Sir."

"Accio!"

Er wollte so unterschreiben, wie er wollte und nicht, wie sie sich das dachte. Bei der Spezies Australier schien es sich aber um ein recht bockiges Völkchen zu sein, denn sie riss ihm die Rolle aus der Hand, die Feder ebenfalls, drohte mit dem Finger, was er als ernst- oder als scherzhaft einordnen konnte und drückte ihn kurzerhand auf einen Stuhl. Vor einer Schülerbank! Ungeheuerlich! Skandalös! Schon wollte er aufspringen, als er von ihren Händen auf seinen Schultern daran gehindert wurde.

"Ist besser, wenn Sie sitzen, Sir." Dann folgte noch ein gönnerhaftes Schulterklopfen und sie baute sich vor ihm auf.

"Umdrehen!" Knapp und barsch brachte er es heraus. "Ich will das Kleingedruckte allein lesen."

Sie tat ihm den Gefallen und wandte ihm den Rücken zu in dem Wissen, dass er mit einem Auge auf dem Pergament hing und mit dem anderen ihren Rücken durchlöcherte. Sie könnte sich ja umdrehen und seine Reaktion beobachten. Ob er DAS unterschrieb...

Snape wagte es erst, einen Blick auf das Pergament zu werfen, als er vollkommen sicher war, dass sie stocksteif stand und keine Anstalten machte, sich umzudrehen. Er war ihr dankbar, dass sie so stur darauf bestanden und ihn auf den Stuhl zurückgedrückt hatte. Seine Nackenhärchen stellten sich beim Lesen auf. Zuerst sprang ihn die Überschrift an.

VERBOT.

‚Verbot, so ein Quatsch.'

Quatsch war dann nicht mehr, was anschließend folgte.

Ich, Sir Severus Snape, Eigentümer und Herrscher über sämtliche Kerkerlandschaften,

an dieser Stelle glaubte er, seine Augen spielten ihm einen Streich,

verbiete hiermit meiner Schülerin Aniram Hawkwing von Australien unter Androhung der Todesstrafe in Form von Erwürgen oder (… frei wählbar), mich jemals wieder mit meinem Ehrentitel "Sir" anzusprechen. Sie hat mich stattdessen

- hier waren ungefähr drei Zeilen frei -

zu nennen. Und niemals anders. Dieses Verbot erfährt sowohl eine räumliche als auch zeitliche Beschränkung. Erstens ist es nur innerhalb der Kerkerräumlichkeiten sowie der angrenzenden Labore, deren Eigentümer ich ebenfalls bin, wirksam. Zweitens erstreckt es sich lediglich auf die Abendstunden, in denen mir oben genannte Dame hilfreich zur Hand geht.

So ein Miststück. Aber ein intelligentes Miststück. Und eine Dame wollte sie sein? Er grinste in sich hinein. Unendlich langsam kam sein Kopf nach oben, aber was er erblickte, war immer noch ihr Rücken. War sie gar nicht neugierig?

Schwungvoll setzte er seine Unterschrift darunter, ohne zu zögern. Er freute sich schon auf ihr Gesicht. Denn er würde seinen letzten Knut zusammenkratzen und ihn verwetten, auch auf die Gefahr hin, dass er ihn verlor, dass sie nicht mit seiner Unterschrift rechnete.

Blieb nur noch diese leere Stelle, wie sie ihn nennen sollte. Er überlegte. Dann ruckte sein Kopf plötzlich zur Seite und einer Eingebung folgend setzte er den Namen ein, fein säuberlich in Druckbuchstaben. Die Erinnerung an diesen tobenden und tanzenden Derwisch war zu wundervoll. Schnell, ganz schnell unterdrückte er das Lachen, das sich mittlerweile seiner Augen bemächtigt hatte.

Er glaubte nicht, dass er sich damit viel vergab. Bis heute war er zu der Einsicht gelangt, dass NIEMAND etwas von diesen merkwürdigen Vorfällen abends im Kerker wusste. Nein, dann wäre das Verhalten der Schüler anders. Die Feder steckte er zurück ins Fass. Bequem, so bequem wie das in Schülersitzen möglich war, lehnte er sich zurück. Das Pergament hob er auf, warf noch einen letzten Blick darauf und räusperte sich.

Aniram war gespannt. Es war ja kaum noch zum Aushalten. Sie drehte sich um und klappte den Mund auf. Denn sie sah zwar in eine steinerne Miene, aber insgesamt hing dort ein entspannter Professor hinter der Bank. Oder lümmelte er? Jedenfalls hatte er sich wenig ritterlich platziert.

Fragend hob sie ihre Augenbraue. Das Pergament wuchs ihr unaufhörlich entgegen. Endlich hielt sie es nicht mehr aus und griff danach. Dass die Unterschrift darunter prangte, damit hatte sie zu fünfzig Prozent gerechnet. Aber wie er genannt werden wollte… Sie bekam große Augen und schluckte.

"Wie unachtsam von mir, ich hätte damit rechnen müssen, dass sie kollabieren."

Merlin, das tat wieder einmal gut, so süffisant zu sein. Er stemmte sich hoch, packte sie kurzerhand unter die Kniekehlen und an ihrem Rücken und setzte sie auf den Platz, den er gerade noch eingenommen hatte.

Aniram ließ das widerspruchslos mit sich geschehen und konnte einfach nur nicken. Ob es das Kollabieren betraf oder eine Wertung dessen war, was dort stand.

Voller Belustigung setzte er sich vor ihr auf den Tisch. "Nun, zufrieden?"

Ein vollkommen fassungsloses Gesicht schaute ihm entgegen. Das war mehr als fair, dass er einmal die Nase vorn hatte. Der Mund musste ja nicht unbedingt offen stehen, aber dieser ungläubige Ausdruck in ihren Augen, herrlich. Nach dem heutigen Defeat, das unglücklicherweise auch noch schriftlich festgehalten war, konnte er das wirklich brauchen. Also genoss er still und mit zynisch verkniffenem Mundwinkel, bis sie sich wieder erholte. Hoffentlich nicht so schnell.

Sorgfältig rollte sie das Pergament zusammen und ließ es in ihrem Umhang verschwinden. Anschließend schaute sie hoch und lächelte, wobei sie dennoch um alle mögliche Fassung rang.

"Warum nicht?" Und nach einer bedeutungsvollen Pause. "Severus."

‚Ich habs doch geahnt. Wie konntest du dir auch nur einbilden, das macht sie SPRACHLOS? Schon mal davon gehört, dass Australier die Sprache erfunden haben?'

Er wusste nicht, ob es ihn überraschen oder ärgern sollte, dass sie so selbstverständlich seinen Vornamen in den Mund nahm. Immerhin hatte sie ihn gerade zum Ritter geschlagen.

‚Ja, träum weiter, mein Freund. Du willst nicht mit Sir angesprochen werden. Was hast du erwartet?'

Wenn es allerdings wirklich der Tatsache entsprach, dass es in Australien üblich war, die Lehrer mit dem Vornamen anzusprechen, sollte ihn das nicht weiter wundern. Er schüttelte leicht den Kopf und murmelte.

"Warum wende ich überhaupt die Kraft auf, mich wundern zu wollen?"

Ihr mahagonifarbener Lockenkopf kroch auf der Tischoberfläche entlang und blickte ihn an.

"Das hätte ich nicht vermutet. Dass Sie sich wundern, wundert mich nicht. Es betrifft wohl mehr die Tatsache, dass Sie offensichtlich Kraft dazu benötigen."

Knurrig und entsetzt darüber, weil er seiner inneren Stimme Lautstärke verliehen hatte und mit dem Vorsatz, ihr doch noch eins auszuwischen, erwiderte er: "Das müssen Sie schon mir überlassen, wie ich meine Kraft einteile. Wie darf ich denn Mylady ab heute nennen?"

‚Na komm schon, jetzt will ich es aber hören.'

"Ich erteile Ihnen die Erlaubnis, mich Aniram zu nennen", grinste sie ihm ins Gesicht. "Denn diese vielen Titel sind doch echt zuviel, oder? Aber brauchen Sie das auch schriftlich oder genügt Ihnen das Wort einer Dame?"

Nach diesem Satz stand sie auf, weil es ihr wirklich nicht behagte, ständig nach oben zu sehen, und setzte sich ebenfalls auf eine Tischkante.

Snape hustete. Dame! Nonchalant entgegnete er: "Natürlich genügt mir das. Es ist zwar ein etwas eigenartiges Gentleman's Agreement, aber ich denke, ich kann damit leben."

‚Oh Gott, Sev, du Esel, fällt dir in deinen heiligen Hallen nichts Besseres ein?' Bereits dieser Gedanke zeigte deutlich genug, wie weit neben sich er stand. Außerdem überlegte er, wie oft er am heutigen Abend vergeblich zu Gott gesprochen hatte. Und? Kam Antwort? Nein. Er sollte wohl doch bei Merlin bleiben. Es war zum aus der Haut fahren.

"Ich schätze, Sie müssen damit leben. Darüber sollten wir erst mal schlafen, oder?"

Um nicht zu zeigen, wie sehr er mit den Augen rollte, schloss er sie. Ob sie wusste, wie zweideutig sie manchmal klang? Sicherlich. Doch wenigstens diesen Satz konnte er mit dem Vergessenszauber löschen. Allein diese Tatsache machte ihn halbglücklich.

Grübelnd versuchte er das vor ihm Sitzende zu analysieren. Immer und ewig das letzte Wort, egal in welcher Situation. Seine Einschätzung lautete frech, rotzfrech, wenn man die anderen Schüler als Maßstab nahm. Und auf eine subtile Art und Weise dominant. Welches Adjektiv überwog, kam darauf an, ob man sie im Unterricht und bei der "Aushilfe" erlebte. Aber trotzdem war eines immer gleich. Nie verwendete sie die offizielle Anrede.

Die zweite Gemeinsamkeit ließ sich schnell finden: ihre schnelle und konzentrierte Arbeitsweise. Tagsüber oder abends - sie schien nie etwas anderes zu tun als zu brauen. Wobei er auch aus unauffälligen Fragen an seine Kollegen dasselbe herausbekommen hatte. Niemand war bis jetzt dahinter gekommen, warum sie so schnell war. Allein das hielt ihn davon ab, sie mit richtigen Strafarbeiten einzudecken.

Seine Beobachtungen bis heute sagten ihm, dass sie sich am Abend weitaus offener zeigte und benahm. Also noch frecher und noch dominanter. Außerdem war unschwer festzustellen, dass sie sich vollkommen unterfordert fühlte und erst am Abend aufblühte.

Zu gern würde er mehr erfahren wollen. Neugierig genug hatte sie ihn gemacht. Und, an dieser Stelle hielt er an seiner Feststellung nach der ersten Stunde fest, er beneidete diesen Professor in Australien, das stand fest. Vornamen, nun gut, wenn die dort so lebten und arbeiteten. Fehlte nur noch, sie würden sich duzen.

Sein Blick fiel auf den leeren Kessel. "Ja, Sie haben Recht, wir sollten eine Nacht darüber schlafen und morgen neu anfangen."

"Denselben Trank?" Neugier schwang in ihrer Stimme mit.

Er streckte seine Hand aus und fasste unter ihr Kinn. Aufmerksam fixierte er sie.

"Denselben Trank... Aniram. Nur weiß ich nicht, wie lange er ohne Retardationszauber bis zum heutigen Explosionsstadium benötigen würde."



Kapitel 19 - Morphen


Sie zauberte ein breites Grinsen auf ihr Gesicht und ließ sich Zeit mit der Antwort.

"Drei Wochen, Severus."

"Und Sie haben sieben daraus gemacht?"

Seine Stimme überschlug sich und er war kurz davor, die Hand zur Faust zu ballen. Oder beide?

Aniram konnte das schlecht einschätzen, allerdings sagte ihr sein Zähneknirschen eigentlich genug.

"Wen beschwören Sie denn im Moment, Severus?"

Ihre lachenden Augen sagten ihm, dass sie ihn durchschaut hatte.

"Mich", knurrte er, "dann nehme ich ein Küchenmesser und drücke es Ihnen in die Hand. Und alles sieht wie Selbstmord aus."

"Immer nur meine Ideen aufschnappen", motzte sie, nicht im Geringsten eingeschüchtert. "Nicht grade kreativ, finden Sie nicht auch? Haben Sie nichts eigenes auf Lager?"

"Ich schnappe, was ich will und jetzt raus mit Ihnen."

"Aye, Sir!"

Sie rutschte vom Tisch und knallte die Hacken zusammen. Ihre Augen wurden unnatürlich groß.

"Oh nein, bitte nicht, das ist mir nur so rausgerutscht, kommt nicht wieder vor, echt."

Ihren Hals brachte sie mit beiden Händen in Sicherheit und schoss zur Tür. Ohne zurückzublicken rief sie: "Nacht."

Nacht, sicherlich ist war Nacht. Halt, der Satz! Schnell wie noch nie hatte er sie eingeholt und postierte sich schwer atmend zwischen ihr und der Tür.

"Was ist denn noch, dass Sie so keuchend daher gerannt kommen? Man könnte meine, Sie hätten den Ayers Rock umrundet."

Diese Worte kamen in einem dermaßen entnervten Tonfall, dass er langsam daran zweifelte, wer innerhalb der Kerkerräumlichkeiten und angrenzenden Labore der Boss war.

Aniram brachte es fertig, staunend ihren Blick auf das große Schwarz vor ihr zu heften, als hätte sie es noch nie gesehen. In dem ganzen Trubel hätte sie beinahe seine schlechte Angewohnheit vergessen, sie irgendwas vergessen zu lassen. Ergeben schloss sie die Augen und als sie sie wieder öffnete, kam es auch schon: das Vergessen.

Ihr war klar, dass sie diese Spielerei nicht mehr lange durchhalten würde. Seit Wochen arbeiteten sie nun schon miteinander und sie selbst dachte nicht im Traum daran, diese Zusammenarbeit zu beenden. Bei ihrer losen Schleuder würde sie sich eines Tages verplappern, dessen war sie sich sicher.

"Ähm...", begann sie ihren Satz, um ihn nie zu beenden. Denn er lief einfach an ihr vorbei in Richtung Schreibtisch. Aniram riss die Tür geräuschvoll auf und stürmte in den Gang. Draußen holte sie tief Luft und beeilte sich, ihren Zufluchtsort aufzusuchen.

Längst schon war ihr aufgefallen, dass es die meisten Lehrer regelrecht darauf anlegten, sie draußen aufzugabeln. Obwohl ihr das Punktesystem immer noch ein Buch mit sieben Siegeln war, wollte sie lieber nicht mehr allzu viel riskieren und schon wieder beziehungsweise immer noch auffallen.

Sie hatte das perfekte Versteck für sich gefunden: den Astronomieturm. Dort war sie immer allein und - was das Wichtigste war - sie hatte freien Blick auf die Sterne. Es dauerte zwar eine Weile, bis sie alle Treppen erklommen hatte, aber zum Abspannen und Meditieren lohnte sich der ganze Aufwand allemal. Vorausgesetzt, sie kam zeitig genug aus dem Kerker heraus. Sie legte keinen gesteigerten Wert auf eine Wiederholung ihres panikartigen Anfalls.

xxxXXXxxx

Während sich Aniram still und heimlich auf den Astronomieturm verdrückte, besuchte Albus Dumbledore wie jeden Abend den Kerker. Neugierig, ausgesprochen neugierig. Er konnte es einfach nicht fassen, dass sich Severus so stur stellte und von sich aus nichts über Australien herausfinden wollte.

Dieses Verhalten war einfach lächerlich und stand in krassem Gegensatz zu seinem Verhalten am Schuljahresanfang. Erst wollte er die Bibliothek auseinander nehmen und wieder zusammensetzen und nun, da er ein lebendes Exemplar der Gattung Australier vor sich hatte, tat er nichts weiter als sich "Big Spender" vorsingen zu lassen - was eines gewissen Reizes nicht entbehrte - oder Mangos zu essen. Kopfschüttelnd und grübelnd ging er den Gang entlang, als er rechts neben sich ein stilles Seufzen hörte.

Dumbledore hob den Kopf und blickte verwundert auf Edward den Erfolglosen, der einen recht niedergeschmetterten Eindruck machte. Nun ja, seinen Titel hatte er wohl nicht umsonst, aber seit wann machte er deswegen einen dermaßen depressiven Eindruck, dass man es auch hörte? Edward schlich vom linken zum rechten Rahmen und wieder zurück und brummelte unablässig vor sich hin.

"Mit mir hat sie es gar nicht gut gemeint, überhaupt nicht gut...", weitere Kommentare dieser Art gingen in einem Seufzen unter.

Nach all der vielen Kopfschüttelei entschloss sich Dumbledore, den Kerker zu betreten, bevor sein Kopf Gefahr lief, durch ebendiese vehemente Tätigkeit abhanden zu kommen. Doch kaum hatte er die Tür geöffnet, überlegte er es sich anders und schüttelte erneut.

"Severus, wie sieht es denn bei dir aus?"

"Bitte?"

"Oh, entschuldige, ich...", Dumbledore wollte schon zu einer wortreichen Erklärung ansetzen, als er sich selbst das Wort abschnitt. Denn im Augenblick erlebte er seinen Zaubertrankprofessor fassungslos wie nie.

Dessen Augen wanderten durch den Kerker und blieben an den Wänden hängen. Fast so, als wäre er in einer fremden Umgebung aufgewacht. Danacht saugte sich sein Blick an der Halbmondbrille seines Gegenübers fest.

"Ich weiß nicht...", begann er unsicher.

Dieses Nichtwissen bezeichnete die Tatsache, dass sämtliche Bänke noch als ein Haufen Kleinholz an den Wänden zusammengepfercht waren. Nur eine einzige Bank stand inmitten des Raumes - diejenige, an der er unterschrieben hatte. Doch der Rest? Er hatte nach diesem eigenartigen Abend noch gar nicht aufgeräumt, es herrschte das reinste Chaos.

Vor allem ärgerte ihn, dass er nicht mitbekommen hatte, dass - geschweige denn WIE - sie diese einzelne Bank in den Kerker gestellt hatte. Es juckte ihn ordentlich in den Fingern, ihren Zauberstab einer gründlichen Analyse zu unterziehen. Allerdings könnte sich das nach den heutigen Erlebnissen als ausgesprochen schwierig herausstellen.

Kurzerhand schnitt er seinem Vorgesetzten das Wort ab, bevor das erste heraus war.

"Wenn ich dir jetzt die Frage, die dir auf den Lippen brennt, beantworten könnte, würde ich das auf der Stelle tun. Wirklich."

Ganz in Gedanken ging Snape auf die einzeln stehende Bank zu und blieb davor stehen. Es rumorte in ihm, dass er diesen Satz für sich selbst erweitern musste. Nämlich mit: wenn ich mir diese Frage selbst beantworten könnte.

Teils missmutig, teils amüsiert kam sein Kopf nach oben und er begann mit der Aufarbeitung des heutigen Abends.

"Wir haben eine Planche gebraucht und wie du weißt, benötigt man dazu etwas Platz. Nur scheint Miss Hawkwing unter Platz etwas völlig anderes zu verstehen als wir. Vielleicht liegt es wirklich an den Dimensionen dort unten."

Großzügig umschiffte er den Fakt, dass ER diese gigantische Planche errichtet hatte und auch noch Hohn und Spott einstecken musste.

Dann endlich sorgte er mit einem energischen Schwenken seines Zauberstabes für einen Zustand in diesem Raum, den jeder sofort als Kerker identifizieren würde.

"Planche. Planche? Was willst du mit einer Planche?"

Dumbledore wartete auf eine Offenbarung. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, weshalb das Zertrümmern von Schulmöbeln zweckmäßig sein sollte. Auch wenn es für eine Planche war, bedeutete das noch lange nicht, dass der Zweck die Mittel heiligte.

Jetzt war das Grinsen auf Severus' Seite.

"Um zu fechten natürlich. Wenn ich auch heute verloren habe, so hoffe ich doch, Miss Hawkwing gibt mir die Gelegenheit zu einer Revanche. Sie ist verdammt gut."

Dumbledore legte den Kopf schief und interpretierte das auf seine Weise. "Aha." Nicht mehr und nicht weniger kam aus seinem Mund.

Albus schlenderte inzwischen gemächlich auf den Stuhl vor Severus' Schreibtisch zu, ließ sich nieder in der Hoffnung, heute wieder eine Mango angeboten zu bekommen und begann das Gespräch.

"Also habt ihr euch duelliert. Sind denn australische Zaubersprüche wirklich so stark? Nun ja, wenn du verloren hast...", den Rest ließ er im Raum hängen.

Severus war ihm gefolgt.

"Falsch, Albus, nicht duelliert - gefochten haben wir. So richtig gefochten. Ich glaube, ich sollte ein bisschen an meiner Kondition feilen, nicht dass sie sich beim nächsten Mal wieder dazu verleiten lässt, ihre Hiebe betont langsam auszuführen, weil sie sich über mein Alter nicht im Klaren ist."

Dabei trommelte er mit den Fingerspitzen auf der Tischplatte herum.

"Dieses kleine Biest. Das hat sie natürlich nicht daran gehindert, mich trotzdem zu besiegen. Aber dieses Defeat lasse ich nicht auf mir sitzen. Würdest du das tun?"

Als Dumbledore vorhin durch diese Tür geschritten war, hatte er mit vielem gerechnet. In erster Linie interessierte ihn ihre Reaktion auf die Aufdeckung des Retardationszaubers.

Was im Gegenzug jetzt an seine Ohren drang, ließ ihn ernsthaft daran zweifeln, ob tatsächlich Professor Severus Snape, Hauslehrer von Slytherin und Zaubertrankmeister, vor ihm saß.

Wie schon so oft fragte er sich auch jetzt, wie Miss Hawkwing es wohl anstellte, diesen emotionalen Klotz - nach ihren Worten - dermaßen aus der Reserve zu locken. Nun fochten sie auch noch miteinander. Was würde als nächstes kommen? Ein Pas de deux? Das aufkeimende Lächeln versteckte er wohlweislich im unendlich wirkenden Bart.

"Kriege ich heute keine Mango? Hast du dir das etwa abgewöhnt?"

"Natürlich nicht." Aus seinen Gedanken aufgeschreckt tischte Severus schnell einen Teller voller Scheibchen auf. Wenn ihm jetzt jemand in die Augen sehen könnte, würde er neben einem gewissen Amüsement in mindestens gleichem Maße einen leicht schwärmerischen Blick feststellen.

Albus stellte fest, dass dieses spezielle Mitglied seines Kollegiums heute gar nicht bei der Sache war. Er war - irgendwo, nur nicht hier. Machte ihm seine Niederlage so zu schaffen? Trotzdem versuchte er schnell noch ein kleines Gespräch in Gang zu bringen. Beim Hereinkommen hatte er natürlich bemerkt, dass nicht nur der Kerker leer war, sondern der Kessel auch.

"Wie ich sehe, hat sich euer Trank erledigt? Was ist passiert?"

"Erledigt nicht ganz, wir fangen morgen neu an. Passiert? Hm, er ist explodiert. Aber so eine Explosion habe ich noch nie gesehen. Das hat Neville Longbottom in all den Jahren nicht hinbekommen. Wenn dieser exotische Zauber nicht gewesen wäre, stünde wohl in Hogwarts kein Stein mehr auf dem anderen."

"Sie hat gezaubert? Also, ich meine so richtig - vollkommen außerhalb des Unterrichts und ohne dass irgendein Spruch gefordert wurde?"

Interessiert beugte sich Albus nach vorn und angelte sich noch ein Stückchen. Jeder wusste, dass Miss Hawkwing einen Bogen um australische Zauberei machte, wo es nur irgend ging. Nur im Unterricht kam sie nicht darum herum.

"Ja, hat sie. Zum ersten Mal begreife ich Minervas Frustration. Das hat sich angehört wie... wie... ich weiß nicht."

Schon diese Stotterei zeigte deutlich, dass er immer noch nicht begriffen hatte, was eigentlich vorgefallen war. Snape war immer noch schwer mit der Einordnung und Klassifizierung beschäftigt, um exaktere Auskünfte geben zu können. Dann sprach er weiter.

"Das lässt sich nicht beschreiben. Schon diese Intonation. Kurzfristig hatte ich das Gefühl, mir zerreißt es das Trommelfell. Ich glaube, wenn ich eine Fledermaus wäre, hätte ich es besser gehört. Ich weiß nicht, ob es etwas im Ultraschallbereich war, fest steht jedoch, dass es sich bis heute meiner Kenntnis entzogen hat, dass eine menschliche Kehle überhaupt einen solchen Laut zustande bringt. Ihre Reflexe sind ausgezeichnet."

Sein Blick bohrte sich in den Kessel. "Dafür, dass sie eben noch unter dem Arbeitstisch hockte und sofort reagierte, sind sie übermenschlich."

Er hatte nicht mitbekommen, was er eben sagte, sein Gegenüber wohl.

"Aber das in Sekundenbruchteilen." Er lachte trocken auf. "Pah, sie nennt es simplen Erstarrungszauber. Albus, simpel! Wie hört sich dann etwas an, wenn sie eine Wolke einfrieren? Ich dachte, sie spricht einen Patronus, weil irgendetwas aus ihrem Zauberstab geschossen kam und sich in rasanter Geschwindigkeit um die Fontäne legte. Das war es aber nicht. Es klang nach Asala oder so. Genau konnte ich es nicht verstehen. Gehört habe ich einen solchen Ton oder ein solches Wort noch nie. Wohl keiner von uns."

Leicht erschöpft legte er sich zurück und massierte seine Nasenwurzel. Eigentlich wollte er den Kopf schütteln, aber beide Tätigkeiten zur gleichen Zeit machten sich nicht gut.

Albus war ein wenig enttäuscht, auch wenn er es sich nicht allzu deutlich anmerken ließ. Fechten und Trank einfrieren, das war alles. Schnell nahm er sich noch ein gigantisches Mangostück.

"Ich sehe, du bist erschöpft, warum auch immer." Er kicherte. "Ich glaube, du solltest wirklich etwas für deine Kondition tun, denn so kannst du den Schülern nicht gegenübertreten. Ich dachte schon, heute gäbe es was Neues."

Er stand auf und das Riesenmangostück verschwand endgültig in seinem Mund.

Severus breitete die Arme aus.

"Was willst du denn zuerst hören? Dass sie bezüglich Muggelmusik und Muggelsänger meinen Horizont erweiterte, indem sie ein Konzert gegeben hat? Bei dem sie ihren Zauberstab, nein, ich glaube, der hat sich selbst verwandelt, jedenfalls verwandelt hat? Diesen BRITEN müsste ich ihrer Meinung nach kennen. Warum auch immer sie der Meinung ist, ich sollte ihn kennen. Aber das Lied war, äh, ja, schön, das gebe ich zu. Mal was anderes als die Schicksalsschwestern."

Albus war stehen geblieben und kaute.

"Dann summte sie weiter und weiter und schließlich war ihr wieder einmal langweilig, was sie mich sehr deutlich wissen ließ. Also hat sie mich zu einem Fechtgang eingeladen, den ich, wie du inzwischen weißt, verlor. Anschließend befahl sie mir niederzuknien."

Das Kauen wurde sicherheitshalber beschleunigt.

"Was ich natürlich nicht so richtig einsah, aber ich glaube, selbst du kannst nicht widerstehen, wenn abwechselnd ein Degen, ein Biderhänder und ein Schwert unter deiner Kehle hängen oder auf der Schulter liegen."

Albus begann zu husten.

"Ich muss sagen", Severus grinste äußerst breit, "sie verfügt über eine erstaunliche Überzeugungskraft. Denn mit eben diesem, hm, Zauberstab-Schwert schnitt sie meinen Umhang entzwei. Sie hätte ja auch ihren nehmen können, oder?"

Ein leicht missmutiger Tonfall lag in seiner Stimme.

"Jedenfalls war das Schwert wirklich scharf, was mich letztlich überzeugte, auf die Knie zu gehen."

Der Husten wurde stärker und gelber Mangosaft floss malerisch in Dumbledores Bart.

"In ebendieser Pose hat sie mich zum Ritter geschlagen und ich durfte mich fortan Sir Severus Snape nennen. Du kennst ihre Abneigung gegen diese Anrede. Aaaaber, nachdem wir dann die Explosion überstanden hatten und sie ebendieses SIR dermaßen falsch, überzuckert und affektiert herausbrachte, das auch noch nach jedem zweiten Wort, habe ich ihr verboten, mich jemals wieder Sir zu nennen."

Bei dieser Äußerung war es soweit, dass das Mangostück ein recht dynamisches Eigenleben entwickelte und sich entschloss, der Luftröhre des größten Zauberers der Welt einen Besuch abzustatten.

Severus hatte Mitleid, stand auf und klopfte seinem Vorgesetzten auf den Rücken, der nach dieser Behandlung schwer atmend mehr im Raum hing denn stand. Als die Mango dorthin wanderte, wo sie erwartet wurde, wartete er japsend und keuchend auf das Ende.

"Kurz und gut, sie wollte es schriftlich. Nach meiner Weigerung, das selbst zu formulieren, hat sie eine wunderschöne Urkunde entworfen, die ich unterschreiben sollte. Genau an diesem Tisch, der einzeln hier stand, als du gekommen bist. Außerdem durfte ich mir aussuche, wie ich künftig von ihr genannt werden wollte."

Albus, immer noch hochrot im Gesicht, wusste, es war noch nicht vorbei.

"Also habe ich in die freie Zeile meinen Vornamen eingesetzt."

Der Moment, an dem man ersticken konnte, war glücklicherweise überstanden, so dass der Schulleiter nur fassungslos war.

"Du hast WAS?"

Zweifelsohne war Severus verhext, denn so etwas würde er nie tun. Nie im Leben.

"Meinen - Vornamen - eingesetzt."

Betont langsam sprach der Herrscher des Kerkers und aller angrenzenden Labore. Es könnte ja sein, dass sein Gegenüber den Worten nicht ganz folgen konnte. Der Herrscher grinste. Er selbst konnte schon folgen, auch wenn er selbst noch Probleme mit der Verarbeitung sämtlicher Vorkommnisse hatte. Aber zu seinem eigenen Erstaunen stellte er fest, dass er sich damit arrangiert hatte.

Die Abende verliefen nie im Gleichklang. Wenn er an andere Strafarbeiten dachte, die er jemals verhängt hatte, waren die wirklich eintönig. Dort ging es ihm nur darum, den Schüler wirklich zu bestrafen und mit verächtlichen Worten Verätzungen zuzufügen.

In ihrer Gegenwart war er derjenige, der in die Defensive gedrängt wurde. Der sich überraschen lassen musste. Die heutige Vorführung bescherte ihm eine vage Vorstellung davon, dass eine Grenze noch lange nicht erreicht war; weil Miss Hawkwing noch längst nicht daran dachte, die Notbremse zu ziehen. Nein, egal was und in welcher Gestalt er ihr über den Weg lief, sie machte entweder ohne Unterbrechung an derselben Stelle weiter oder buddelte an neuer Stelle ein tiefes, tiefes Loch, in das sie ihn getrost fallenlassen konnte. Wenn er nicht fallen wollte, schubste sie ihn einfach an.

Nachdem er Albus auf den Stuhl zurückbugsiert hatte, fasste er kurz und bündig zusammen.

"Also, was ist heute neu? Lass mich kurz überlegen." An den Fingern zählte er auf. "Sie haben keine Möbel, sie fechten im Unterricht, egal wo, nur weil es Spaß macht, die Lehrer bringen die Schüler zur Weißglut, weil sie deren Beherrschung testen wollen und sie haben morphende Zauberstäbe. Erschreckend irgendwie. Zumindest, wenn man das erste Mal davor steht. Es würde mich nicht im Geringsten wundern, wenn wir es insgesamt mit Metamorphmagi zu tun haben. Bei dieser Bande würde mich nichts mehr wundern. Gar nichts mehr."

Albus legte den Kopf schief. "Bande? Lass mich eines an dieser Stelle resümieren: ich vermisse deine geschliffene Wortwahl. Offen gestanden habe ich Angst vor dem Tag, an dem du von den Schülern verlangst, ne Buddel voll Trank zu brauen. Aber was du alles aufgezählt hast..."

So abrupt, dass es schon an Unhöflichkeit grenzte, wurde er unterbrochen.

"Oh, ich vergaß, mentales Training machen sie auch noch."

Eine Weile herrschte Schweigen. Auf beiden Seiten des Schreibtisches wanderten die Augenbrauen in die Höhe. Mentales Training. Wofür?

"Ihre Begründung dafür war, wer sich nicht beherrschen kann, kann sich in der Traumzeit begraben. Damit kann ich leider nicht viel anfangen. Auch kann ich nicht zusammenfügen, ob das mentale Training Voraussetzung für die Weißglut ist oder deren Effekt. Verstehst du?"

Zum ersten Mal in seinem Leben wurde Dumbledore regelrecht zapplig.

"Willst du denn nicht endlich herausfinden, was es alles damit auf sich hat? Miss Hawkwing scheint dich als Magneten zu betrachten, zu dem es sie immer wieder zieht. Kannst du denn keine konkreten Fragen stellen? Bist du zufrieden damit, was du so im Vorbeigehen aufschnappst?"

"Dieses ‚im Vorbeigehen', Albus, ist wahrscheinlich wesentlich mehr, als jeder andere Lehrer an dieser Schule je aus ihr herausgebracht hat. Ich habe ja nicht einmal danach gefragt, ich bekam es einfach aufgedrückt. Warum weiß ich nicht. Aber - warum bist DU damit nicht zufrieden?"

Snape, eben noch relativ gut gelaunt, ärgerte sich über Dumbledore, der ihn doch wohl nur auf sie angesetzt hatte, weil er selbst nichts herausfand. Nun war es ihm zu wenig und es ging viel zu langsam. Seine Antwort fiel - im krassen Gegensatz zur vorhergegangenen Erzählung - äußerst knapp aus.

"Ich erledige das auf meine Art und Weise, Albus. Ich kann dich gern über Australien aufklären, wenn ich genügend Material habe. Mir persönlich geht es vorrangig um die Tränke, die sie braut und eine noch höhere Priorität nehmen bei mir solche Fragen wie beispielsweise die Namen der Tränke, die Zutaten, mit denen sie arbeiten, ein, und eventuell schaffe ich es auch einmal, in einer einzigen Stunde zehn Tränke am Stück zu brauen. Sofern sie sich dazu hinreißen lässt, mehr zu erzählen, wie du erhofft und vermutet hast und was sich bis heute bestätigt hat, dann gerne und jederzeit. Ich garantiere dir, du bist der erste, der davon erfahren wird."

Dumbledore bedachte seinen Zaubertrankmeister mit einem nachdenklichen Blick. Fast könnte man meinen, er sei wieder innerlich gefroren. Die ihn umgebende eisige Aura war fast sichtbar. Es bestand ein riesengroßer Unterschied zwischen einem Snape, der mit einer Schülerin quer durch den Kerker focht, den Zauberstab als Degen missbrauchte und sich darüber freute, auch wenn er ein Defeat kassiert hatte - und einem Snape, der ihn abservierte. Nichts anderes als abservierte.

"Gut, Severus, dann muss ich das wohl akzeptieren. Obwohl es mir zugegebenermaßen sehr schwer fällt."

Marionettenhaft und enttäuscht erhob er sich, wünschte eine gute Nacht und verschwand.

Im Nachhinein ärgerte sich Snape, sehr sogar. Er ärgerte sich maßlos darüber, dass er so viel von diesen Abenden erzählt und dabei Albus die X-Akten auch noch aufs Auge gedrückt hatte - ohne auch nur mit dem letzten Hirnstrang darüber nachzudenken, dass es Leute gab, die unsichtbare Spalten erkannten.

Es wäre sicherlich besser gewesen, einiges, nein - vieles von dem einfach unter den Tisch fallen zu lassen, das allabendlich hier stattfand. Warum nur hatte er sich nicht ausschließlich auf eine Aufzählung der nüchternen Fakten fokussiert?

Es verwunderte ihn, zumal es absolut nicht seine Art war, dass seine Erzählungen einen dermaßen großen emotionalen Touch angenommen hatten. Denn damit hatte er seinem Vorgesetzten mehr gezeigt als gewollt.

Anfangs war es überhaupt nicht lustig gewesen. Da hatte sein Gehirn auf Hochtouren gearbeitet, wie er ihr beikommen könnte. Nein, nicht einmal das stimmte. Wie er sie klein bekommen könnte. Er hatte es als Strafarbeit aufgefasst, sich mit diesem Temperamentbündel beschäftigen zu müssen.

Als ihr Umhang brannte, hätte diese ganze Bestrafungsaktion - für sie und ihn - eine andere Wendung nehmen können. Dieser Abend hatte sich nachhaltig in sein Hirn eingegraben und nie im Leben würde er das Bild vergessen, wie sie auf ihrem Umhang sinnlos herumtrampelte.

An diesem Abend war er drauf und dran gewesen, vorübergehend zu vergessen, wer und was da vor ihm saß oder kniete. Doch dann kam der radikale Bruch. Es verstrichen drei Wochen, bis er zu der Einsicht gelangte, dass er ohne ihre lose Schleuder nicht mehr auskam. Er glaubte kaum, dass er sich hätte überwinden können, wenn sie nicht den Anfang gemacht hätte. Im Unterricht. Ihre Erklärung über die Entschuldigung klang aus heutiger Sicht plausibel.

Das alles führte zu dem Fazit, dass er sich brauchte. Nicht nur wegen der fremden Sprüche und Rezepturen, die sie in ihrem Kopf mit sich herumtrug und nie an die Oberfläche ließ, sondern weil sie ihm begegnete wie einem normalen Menschen - eine Tatsache, die er schon früher festgestellt hatte. Das, und nur allein das machte ihre Nähe wirklich wünschenswert.

Vor nicht allzu langer Zeit hätte er sich nicht einmal mit der Formulierung "Ertragen in meiner Gegenwart" aufgehalten. Er ertrug niemanden in seiner Nähe, das war für einen Snape, der jahrelang an seinem Image gearbeitet hatte, absolute Normalität.

Aber - Australier waren nicht normal! Als er diesen Satz gedacht hatte, lachte er unwillkürlich laut auf. Es war nicht affektiert, es war nicht gekünstelt - Severus Snape, der kein Sir mehr war, sein wollte und dieses Verbot schriftlich fixiert hatte, lachte aus tiefster Seele, irgendwie glücklich darüber, dass es irgendwo auf der Welt diesen verrückten Haufen namens Australier gab.



Kapitel 20 - Die Fangfrage


Es musste an den Mangos liegen. Er lachte zu oft in letzter Zeit, auch wenn er es eigentlich unterbinden wollte. Manchmal zuckte sein Mundwinkel unkontrolliert, manchmal schlich sich ein Grinsen doch aufs Gesicht. Vorher hätte er nicht sagen können, wann er das letzte Mal gelacht hatte, wie es überhaupt ging. Er hatte es schlichtweg vergessen. Ihre Nähe ließ ihn so viel Negatives vergessen. Eigentlich alles, was ihn ausmachte.

Als er an diesem Abend zu Bett ging, fühlte er sich wie neu.

xxxXXXxxx

Aniram hatte sich wieder auf den Astronomieturm verkrochen. Sie empfand es als den reinsten Stress, die Füße zu benutzen. Es war einfach schrecklich, die Steigerung von schrecklich war grauenvoll. Schon seit geraumer Zeit ließ sie die Frage nicht los, ob sie innerhalb dieses speziellen Gebäudes teleportieren könnte. Die Möglichkeit, einen mit diversen Beulen und Beulchen verziertes Köpfchen zu haben, lag natürlich nahe.

Zu Hause kein Thema, nach links, rechts, vorn, hinten - aber zu Hause gab es auch keine Häuser, wenn man von den Wohnhäusern einmal absah. Ganz so primitiv waren Australier doch nicht, dass sie um ein Lagerfeuer herum unter freiem Himmel schliefen.

Glucksend erinnerte sie sich an den Abend, als er ihr ins Ohr geraunt hatte, das Feuer sei schon vor langer Zeit erfunden worden. Aus dem Glucksen wurde rasch ein ausgewachsenes Kichern.

Diesmal dauerte es lange, bis die ihre Meditationshaltung einnehmen und sich versenken konnte.

xxxXXXxxx

Am nächsten Abend vertraute sie darauf, diesen merkwürdigen Trank, der so grandios explodiert war, noch einmal brauen zu dürfen. Es war ihr gleich, ob diesmal mit oder ohne Kandinsky-Gift.

Kurz rief sie sich ins Gedächtnis, dass ab heute Sir-Verbot war und die Anreden außerhalb der Unterrichtseiten innerhalb der Kerkerwände Aniram und Severus lauteten.

Nach einem forschen "Guten Abend" legte sie einen halben Sprint zum Arbeitstisch hin und warf einen Blick auf die Arbeitsanleitung. Der Versuchsaufbau stand immerhin noch. Den ganzen Tag über hatte sich Aniram damit beschäftigt, was sie wohl vorfinden würde.

Mit großem Seufzen machte sie sich erst einmal daran, die Arbeitsanleitung in den Urzustand zu versetzen. Die farbig markierten Schritte mussten wegretuschiert werden. Ohne ihre Augen vom Pergament zu nehmen fragte sie hielt sie einen Monolog und hoffte auf einen Dialog. Schließlich gab sie ihm mehrere Steilvorlagen.

"Also - auf ein Neues, oder? Ist aber wirklich schade, dass er gestern explodiert ist. Da haben wir nun sooo viel Arbeit reingesteckt, sooo viel Gemüse und ich meinen Retardationszauber, dass es mehr als eine Vergeudung von Material ist. Schlimm, schlimm."

Die Ruhe hinter ihr beunruhigte sie. Nicht dass dieses Spiel wieder von vorn begann. Sie wedelte mit den Armen.

"Na, Severus, wer wird denn dermaßen vor Elan strotzen?"

Mit diesen Worten drehte sie sich um und sah sich etwas Schwarzem gegenüber. Sie rollte mit den Augen und legte ihren Kopf in den Nacken.

"Erwähnte ich schon einmal, dass ich Anschleichen hasse wie die Pest?"

Snape stand da und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Sein Kopf lag schief. So als wüsste er nicht genau, wie die Antwort zu lauten hatte oder schlimmstenfalls: wen er vor sich hatte. Jedenfalls sah es aus ihrer Sicht so aus.

"Wenn ich mich recht erinnere, nein. SIE sind mir inzwischen hinreichend bekannt, aber dass wir jemals über das Anschleichen gesprochen hätten, wäre mir vollkommen neu."

Belustigt blitzten ihre Augen und sie war versucht, ihn einen Feigling zu nennen. Hatte sie etwa keinen Namen? Das Ganze war witzig. Sie sprach ihn mit Severus an und er konnte sich nicht dazu durchringen, eine Schülerin mit ihrem Vornamen anzusprechen. Aber er war ja noch nicht so alt, als dass er nicht mehr lernfähig wäre.

Kurzerhand wandte sie ihm den Rücken zu, da sie von Wurzeln schlagen nichts hielt und voller Tatendrang war.

"Ich fang dann mal an. Mit oder ohne Severus. Hm, hat der Trank eigentlich einen Namen? Wie wäre es mit Schweigsamkeit? Beinahe habe ich den Verdacht, dass Sie davon gekostet haben. Sie müssen doch zugeben, so viel gequasselt wie heute abend haben Sie selten."

Die einzige Reaktion seinerseits waren verengte Augen und zusammengepresste Lippen. Mit oder ohne Severus? Dreist, einfach nur dreist. Trotz Verbot und seines, hm, Zugeständnisses. Aber dass sie so gar keine Probleme damit hatte, damit umzugehen… Andererseits, was hatte er denn erwartet von einer Schülerin, die zu Hause die Lehrer mit dem Vornamen ansprach? Wo so etwas zum Umgangston hörte.

Während Aniram die entsprechenden Mengen an Sumpfziest, Diptam und Portulak abmaß - wobei sie sich mehr oder weniger wegen genau dieser Zutaten wie ein Heiltrankbrauer vorkam - platzte ihr ob der herrschenden Stille der Kragen. Ohne ihre Arbeit zu unterbrechen entfuhr es ihr.

"Herrschaftszeiten, können Sie nicht endlich mal Ihre Kiemen bewegen oder muss ich Ihnen jedes Wort aus der Nase ziehen? Wie heißt er denn nun?"

Da sie ihm den Rücken zuwandte, bekam er heute glücklicherweise kein Kreuz in der Mundwinkelzuckspalte.

"Es entzog sich bis jetzt meiner Kenntnis, dass Sie zum Brauen Dianthuskraut benötigen. Ansonsten hätte ich für einen entsprechenden Vorrat gesorgt."

Vergnügt und strahlend drehte sich Aniram um.

"Da ist er ja wieder, mein kleiner Scherzkeks. Ich muss ehrlich sagen, wenn Sie sich schon einmal dazu hinreißen lassen, dann schlagen Sie mit Ihrem trockenen Humor sogar Mr. Spock!"

Snape bewegte sich leicht und fuhr sich mit den Fingerspitzen der rechten Hand erst über die linke, dann über die rechte Gesichtshälfte. Er grübelte, wer das nun schon wieder war und überhörte gegen seinen Willen sogar den Scherzkeks.

"Mr. Spock? Was oder wer ist das schon wieder?"

Cremig, ölig und seidg kam diese Aufforderung, als Bitte getarnt und mit dem unsichtbaren Hinweisschild versehen: Wehe, du legst mich schon wieder rein.

Aniram grübelte, unterbrach kurz ihre Arbeit und schaute auf.

"Mr. Spock. Tja, wie soll ich sagen… als ich ihn das erste Mal gesehen habe, rauschte er mit unbewegtem, wenn nicht sogar absolut mürrischem Gesichtsausdruck durch den Korridor. Gefolgt von einem schwarzen, flatternden Umhang. Der schien irgendwie mit ihm verwachsen zu sein, Sie verstehen? Er hat schwarze, etwas fettige Haare, ein scharf geschnittenes Profil, das besonders durch seine Nase beherrscht wurde..."

Snapes Nase begann zu zucken.

Leicht wandte sich Aniram in seine Richtung, um die Aufzählung zu Ende zu bringen.

"...grüne Haut und", sie nahm ihren Zauberstab zu Hilfe, um Snapes Haare hochzuheben, "spitze Ohren. Ich stelle nicht die geringste Ähnlichkeit mit Ihren Ohren fest."

Den Rest überließ sie seiner eigenen Interpretation. Den letzten Satz hängte sie zu ihrer eigenen Sicherheit an, denn sein Gesichtsausdruck ließ darauf schließen, dass er sehr wohl und sehr schnell eine Assoziation mit Spock treffen würde. Allerdings wuselten ihre Gedanken wie eine Achterbahn, dass diese Assoziation gar nicht so verkehrt und untreffend wäre.

Er grinste halbseitig. Verdammt, jetzt hing doch ein Kreuz da.

"Ich dachte schon, der Typ macht mir Konkurrenz."

Diesen kleinen Hoffnungsschimmer zerstörte sie gnadenlos und geradlinig.

"Nein, nein, tut er nicht. Aber es gibt eine Möglichkeit, um das aus der Welt zu räumen. Sie könnten sich die Haare schneiden, etwas Ichthyol-Salbe auf Ihren blassen Teint auftragen und dann fahren wir zur nächsten Con und erstehen Spock-Ohren. Ich versichere Ihnen, die muggelstämmigen Trekkies hier in Hogwarts liegen Ihnen zu Füßen!"

Snape hatte keine Ahnung, was eine Con ist und dass es Spock-Ohren zu kaufen gab.

"Da eher friert die Hölle zu, ehe ich meine Haare schneide."

"Na gut, dann matschen Sie sich Vielsafttrank zusammen. Das gibt dann ganz bestimmt eine prickelnde Erfahrung. Wer weiß, vielleicht wollen Sie darauf gar nicht mehr verzichten? Wenn so alles vor Ihnen liegt."

"Mir wäre es wesentlich lieber, diese Drecks oder wie sie heißen, würden anständige Tränke brauen statt mir zu Füßen zu liegen. Und überhaupt, wer weiß, ob es so etwas hier gibt."

Indigniert zog er den Kopf zwischen die Schultern und überlegte ernsthaft, wieso er eigentlich noch hier stand. Nicht dass sie noch auf die Idee kam, seine Ohren abzuschneiden und sie irgendwo als Snape-Ohren zu verhökern.

Während sie den getrockneten Krötenschwanz zerstückelte, wurde sie Sanftmut und Zaubertrankbrauerei-Eifer pur.

"Nicht liegen? Na ja, knien reicht ja auch, wie ich Sie kenne. Und DAS, maestro, ist wesentlich unangenehmer. Aber keine Panik, Mr. Spock ist ein Kumpel von Pille und Kirk." Sie verbog sich wie ein Fragezeichen, um ihn anzuschauen und spitzbübisch zu lächeln. "Fernsehen."

Geräuschvoll zog er die Luft durch die Zähne und suchte Zuflucht hinter seinem Schreibtisch.

"Also doch Muggel."

Es interessierte ihn nicht, ob es reale Muggel oder lediglich eine Muggelerfindung waren - dieser Mr. Spock kam aus der Muggelwelt.

Und ansonsten? Es interessierte ihn brennend, ob Mr. Spocks Augen auch in bestimmten Momenten belustigt aufflackerten. Aber diese Frage zu stellen verbot sich von selbst. Er grinste breit wie nie und schrieb fast mit der Nase. Das Knien hatte sie also als unangenehm empfunden? Nun, dann musste er ihr zu Gute halten, dass sie das fast zwei Wochen durchgehalten hatte. Obwohl - sooo viel gekniet hatte sie gar nicht. Denn er hatte ihr unbeabsichtigt den Luxus des Sitzens verschafft. Ausgesprochen schade, dass er das erst heute erfuhr.

Er stützte seine Stirn mit der linken Hand ab und seufzte. Wenn seine Gedanken weiterhin das mit ihm machten, was sie wollten, dann würde er wohl erst zu einer vernünftigen Arbeit kommen, wenn sie draußen war.

Gerade als sich sein Blick an einem Wort festgesaugt hatte, das dort nicht hingehörte und demzufolge ein Fehler war, war er wieder einmal froh, die Feder noch nicht aufs Papier gesetzt zu haben.

"Kandinsky. Ich weiß, wir nennen den Trank Kandinsky."

Aniram trat aufgeregt von einem Fuß auf den anderen und kam dann an seinen Schreibtisch gestakst.

"Machen wir den bei dieser Ladung wieder mit rein oder verzichten wir darauf? Den Kandinsky, mein ich. Ich könnte mir vorstellen, dass der Trank durch die toxische Wirkung explodiert ist. Denn in der Rezeptur ist er ja nicht vertreten. Der Kandinsky."

Aniram konnte leider nicht verhindern, dass ihr ohnehin schon breites Gesicht bei der Erwähnung der toxischen Wirkung noch mehr auseinander ging. Vor ihrem inneren Auge sah sie jetzt das Gesicht eines Breitmaulfrosches.

‚Sev, halt das Gesicht gerade, sonst zuckst du schon wieder!'

Er schaute nach unten, um die Feder in die Tinte einzutunken. Aber ausgerechnet das Tintenfass rief die Wirkung hervor, die er auf jeden Fall unterbinden wollte. Schwarze Tinte und gelbe Kandinsky-Spritzer. Welch ein Anblick! Sein Oberkörper zuckte kurz vor unterdrücktem Lachen und artete in ein Schnauben aus.

Ungehalten wedelte er mit der Feder in Richtung Trank.

"Nehmen Sie ein Reagenzglas ab und versuchen Sie, die entsprechend geringere Menge an Kandinsky hinzuzufügen. Auf diese Erfahrung möchte ich nicht verzichten."

"Aye, Sir. Oh, Severus, das heißt natürlich ‚Aye, Severus'. Klingt irgendwie nach ‚Ave Cäsar'. Und außerdem sag ichs schon die ganze Zeit, es ist zu kalt hier drin, Sie kriegen einen mörderischen Schnupfen. Wie wäre es außerdem mit einer Spalte für den Oberkörper?"

Mit diesen Worten schob sie ihm wortlos ein Taschentuch über den Tisch und entfernte sich.

Dass sie sein Zucken mitbekommen hatte - gleich nun, was gerade zuckte - ärgerte ihn maßlos. Die folgerichige Interpretation natürlich genauso. Doch gesehen war gesehen und daran konnte er im Nachhinein auch nichts mehr ändern.

Allerdings war er nicht gerade scharf darauf, eine weitere Spalte für das Zucken irgendwelcher Körperteile einzurichten. Was gab es denn schon alles in seiner Akte? Das Grinsen an sich, Mundwinkel und jetzt auch noch Oberkörper? Alles, nur das nicht - sonst würde nicht mehr viel fehlen und gewisse zuckende Extremitäten schlossen sich an. Irgendwann zuckte die ganze Akte. Dem musste er unbedingt vorbeugen und stellte diese Bemerkung auf seinen Vergessen-Plan.

Dennoch schob er grinsend - weil sie es nicht sah - das Taschentuch beiseite.

"Mir ist nicht überdimensional kalt. Außerdem hält sich Tiefgekühltes länger. Ihre Besorgnis weiß ich durchaus zu schätzen."

Das war schon ein selten dämlicher Satzbau, wie er im Nachhinein feststellte. Da, schon wieder so ein unkonventionelles Wort. Er stellte fest, dass er in der letzten Zeit mehr und mehr australisch gefärbte Metaphern verwandte. Nie im Leben wäre ihm in den Sinn gekommen, irgendetwas von Tiefgefrorenem zu erzählen.

Vielleicht war ihre Idee von einem Vielsafttrank gar nicht so übel, denn wie es bis jetzt aussah, musste er strengste Zurückhaltung üben, um wenigstens im Unterricht Snape zu sein. Sollte er sich dort jemals verplappern, wäre die Katastrophe perfekt. Nicht auszudenken!

Die Retourkutsche ließ auch nicht lange auf sich warten.

"Stimmt, Sie sehen nicht so alt aus, wie Sie sind."

Lauernd fragte er: "Woher wollen Sie denn wissen, wie alt ich bin?"

Zuckende Schultern waren für einige Zeit alles, was er sah.

"Erstens: Quelle - keine, zweitens: ich will nicht, ich ahne, drittens: Sie sehen noch relativ frisch aus. Dieser Zustand ist wohl wirklich der Kälte hier unten zuzuschreiben. Ich hoffe, Sie stimmen mir in allen Punkten zu, Severus?"

"Natürlich, Aniram. Nicht der geringste Einspruch. Sie sehen ja auch noch frisch aus."

‚Relativ frisch! Hah! Warum gesteht sie mir nicht absolute Frische zu?'

Snape versuchte sich wieder in die Hausaufgaben zu vertiefen. Dieses Vorhaben war leichter gedacht als in die Tat umgesetzt. Er empfand es als ausgesprochen schade, dass er diesen Gag für sich behalten musste. Oder besser gesagt, er hatte sich vorgenommen, ab heute gewisse Gags für sich zu behalten. Albus wusste ohnehin genug. Er wusste bereits zu viel.

Detail- und analyseversessen wie er nun einmal war, stellte er lediglich fest, dass alles in Schwerstarbeit ausartete. Auf der einen Seite die Sachen für Obliviate, die sich in letzter Zeit nicht mehr so klar abgrenzen ließen, wollte er sich kein Eigentor schießen, auf der anderen Seite musste er eine ganz neue Schublade für Albus aufmachen, in die er nur die Sachen stopfte, die in seinen Augen der Schulleiter erfahren durfte. Diese durfte lediglich die nüchternen Fakten enthalten. Keinerlei Emotionen mehr, nichts.

Aniram fuhr herum und glaubte, sich verhört zu haben. "Ich - sehe - frisch - aus?! Wow, und das aus Ihrem Mund, ich bin ja direkt sprachlos. Jedenfalls wirkt das besser als in Formalin eingelegt, oder?"

Er stöhnte. "Müssen Sie denn immer...", abrupt brach er ab, weil er wusste was kam.

Sie hatte sich schon wieder umgedreht, so dass sie getrost das Reagenzglas in ihrer Hand wie eine Irre anfeixen konnte.

"Ja, ich muss immer das letzte Wort haben. Immer meistens zumindest. Oder in der Regel."

Nach diesem kleinen Schlagabtausch herrschte für eine Weile Ruhe. Ruhe, die Aniram unbedingt benötigte, da der Trank gerade in der Anfangsphase ihre volle Aufmerksamkeit verlangte. Immerhin waren sie beim ersten Anlauf zu zweit gewesen. Zwar hatte er sie in die Rolle der schnipselnden, reibenden, abwiegenden und stoßenden "Aushilfe" gesteckt und konnte getrost eine Zutat nach der anderen verwenden, ohne in Schweiß auszubrechen - doch es ließ sich nicht verleugnen, dass vier Augen mehr sahen als zwei.

Severus jedoch argwöhnte, dass sie entweder etwas ausheckte oder vor einer erneuten Attacke stand. Seine Frage diesbezüglich war kurz und prägnant und wurde vollkommen frisch und munter verneint. Ab jetzt verfügte er eventuell über so viel Ruhe und Konzentration, die er benötigte, um die Hausaufgaben zu kontrollieren.

Als er damit fertig war, streckte er sich und sah sie immer noch arbeiten. Sein Blick flog kurz zur Uhr und sagte ihm, dass der Zeitpunkt, zu dem sie aus seinem Kerker zu entfernen war, noch nicht überschritten war. Kurz zog er den Umhang um sich und stellte fest, dass es wirklich kalt war. Ihren Wunsch nach Feuer konnte er durchaus nachvollziehen. Er schloss die Augen, um die diebische Freude über diese Reaktion auf den Vulkanausbruch zu verstecken.

Dann erinnerte er sich daran, dass sie - wenn auch damals unter anderen Umständen - gern Kaffee trank. Also wenn er schon kein Feuer entfacht hatte, entschloss er sich, für flüssige Wärme zu sorgen.

Mit zwei Bechern Kaffee, der schwarz war wie die Nacht, ging er zum Arbeitstisch. Einen Becher platzierte er neben den zurecht gestellten Zutaten.

"Wenn ich mich recht erinnere, sind Sie dem Koffeingenuss nicht ganz abgeneigt."

Aniram musste mehrmals blinzeln. "Oh, gekocht oder gezaubert?"

Diese Frage war wirklich harmlos gemeint und keinesfalls ein Seitenhieb auf seine Abneigung gegen die Zauberstabfuchtelei. Er jedoch fasste es genauso auf.

Knurrig und böse antwortete er: "Ausnahmsweise gezaubert, sonst hätte der Prozess mehrere Minuten in Anspruch genommen und Sie wären um den Genuss gekommen."

Aniram nickte und griff nach dem Becher, den sie jedoch sofort wieder hinstellte. "Verdammt, ist das heiß."

Snape schaute auf seinen Becher und trank mit Todesverachtung.

"Ist Ihnen kalter Kaffee lieber? Trinkt man den so in Australien?"

"Natürlich nicht, Sie... Spezialist." Ihr lag alles Mögliche auf der Zunge, aber mit dem Punktesegen stand es in Ravenclaw nicht gerade zum Besten. Also hielt sie lieber ihren Mund und entschloss sich fürs Pusten. Eventuell ließ sich dann der Kaffee erweichen, eine etwas annehmbarere und demzufolge trinkbarere Temperatur anzunehmen.

Snape alias Severus schaute ihr eine Weile auf die Hände und es faszinierte ihn immer wieder, in welchem Tempo sie arbeitete. Bis heute hatte er auch nicht den kleinsten Fehler in ihrer Arbeitsweise feststellen können - ganz zu schweigen davon, dass ihr irgendetwas herunterfiel oder sie aus Versehen etwas zusammenkippte.

Aber - und an dieser Stelle wusste er nicht, welche seiner beiden inneren Stimmen überwog - wurmte es ihn immer noch, so relativ wenig von Australien und insbesondere von ihrem hochgepriesenen Zaubertrankprofessor zu kennen. Nachdenklich schaute er in den Kaffee, als läge dort die Antwort. Warum nicht einfach fragen? - sprach sein Kaffee zu ihm. Sie war so mit sich und diesem Trank beschäftigt, da würde doch wohl eine harmlose Frage nicht auffallen, oder?

"Wie brauen Sie denn in Australien einen simplen Schlaftrank?"

"Mit Wermut und schwarzem australischem Mohn. Aber nur die Blüten."

Wie aus der Pistole geschossen kam diese Antwort und dennoch hätte sie sich im selben Moment am liebsten die Zunge abgebissen. Nein, nicht gevierteilt, regelrecht abgebissen. Wie konnte sie nur! Eine Pflanze, die hier unbekannt war, so unbedacht auszuplaudern. Sie hatte sich, vertieft in ihre Arbeit, einfach hinreißen lassen und antwortete mit der Automatik eines lange gedrillten, scharfen Verstandes.

Schließlich mussten alle Tränke im Schlaf beherrscht werden - einschließlich der Zutaten. Es gehörte nicht der Seltenheit an, dass man genötigt war, sich während der Traumzeit welche zu brauen. Egal welchen. Die Betonung lag auf EGAL.

An dieser Stelle konnte sie nur hoffen, dass Severus - HA, das hatte sie jetzt davon - nicht so genau zugehört hatte. Wobei es absolut illusorisch war, ihm so etwas wie Unaufmerksamkeit zu unterstellen.

Denn Severus Snape hatte sehr wohl zugehört und ihn elektrisierte schon allein die Zutat. Er musste sich nicht einmal die Mühe machen, wegzuschauen. Schließlich hatte er ihr Kaffee gebracht und beobachtete sie beim Tränkebrauen. Ihm war keinesfalls entgangen, dass für den Bruchteil von Sekunden ihre Arbeit ins Stocken gekommen war. Sie wirkte leicht fahrig, so, als hätte sie etwas unter keinen Umständen sagen wollen.

"Hmhm, sagen Sie, von diesem Mohn könnten Sie mir wohl nicht etwas besorgen? Sie wissen ja, ich experimentiere gern und würde diese doch relativ exotisch klingende Pflanze gern in meine Forschungsarbeiten einbauen."

Snape hoffte nur, dass das als Abwiegelung genügte, denn er bemühte sich nach Kräften, so desinteressiert wie möglich zu klingen.

Aniram hingegen lachte trocken auf. Zum Henker mit seiner Aufmerksamkeit. Dann beantwortete sie seine Frage.

"Das glaube ich kaum. Schon allein die Blüten sind groß wie Elefantenohren. Können Sie sich eventuell das Ausmaß der gesamten Pflanze vorstellen? Und außerdem, wie der Name sagt, australischer Mohn. Ich kann nicht einmal schnell um den Erdball flitzen und irgendetwas besorgen."

"Das ist schade. Klingt interessant."

Anirams Antwort bestand lediglich in einem Brummeln. Dann griff sie nach dem Kaffeebecher und entschloss auf diese Art und Weise, ihrem vorlauten Mundwerk zuvorzukommen. Wer ahnte denn auch mit so einer Frage aus dem Hinterhalt?

Snape sah auf die Uhr und stellte fest, dass die Zeit um war. "Ist dieser Arbeitsschritt schon markiert?"

"Was glauben Sie denn?"

Verärgert schaute sie ihn an und sah sich wieder einmal der Spitze seines Zauberstabes gegenüber. Verdammt, eines war sicher, lange würde sie das nicht mehr durchhalten. Zum einen war er kein Dämlack und musste es irgendwann merken und zum anderen dachte sie, dass ihre Zusammenarbeit auf Vertrauen basieren könne. Für ihre Begriffe hatte sie ihn schon sehr, sehr weit aus der Reserve gelockt. Wie es war, einem unbehandelten Snape in die Hände zu fallen, diese Erfahrung hatte sie ebenfalls machen dürfen.

WAS sie jedoch heute vergessen sollte - das wusste wirklich der Teufel allein. Vielleicht noch dessen Schwiegermutter, aber auf mehrere Personen dehnte sie den Kreis der Ahnenden und Wissenden lieber nicht aus. Also schoss sie aus der Tür, als wäre auch noch Satan hinter ihr her.

Kaum dass sie draußen war sprang Snape auf, versiegelte die Tür, versicherte sich mit einem Rundumblick, dass alles in Ordnung war und nichts explodieren konnte, lief in das hinterste seiner Labore, dessen Herrscher er natürlich ebenfalls war, schloss eine Vitrine auf und griff nach dem nicht gerade dünnen Lexikon der Zaubertrankzutaten. Über diesen schwarzen Mohn - sei er nun australisch oder nicht - musste er unbedingt mehr herausfinden. Oh, wenn sie wüsste, wie sehr er sich eben zurückgehalten hatte.

Bis zu diesem Moment hatte er noch gar nicht darüber nachgedacht, in welchen Abwandlungen die gängigsten Tränke in Australien gebraut wurden. Dass sie das Repertoire der Zutaten inklusive Toxine im Kopf hatte, hatte sie schließlich schon in der ersten Stunde bewiesen. Er begann zu blattern bis zum S.

Fahrig und beinahe fieberhaft las er. Schwalbenschwänche, Schwammige Drachenkopflilien, Schwangere Austern, Schwa, Schwa, Schwarze Eberschwanzhaare, Schwarze Kolobrifedern. Beinahe belustigt schnaubte er, als er feststellte, wie viele Zutaten den Beinamen "Schwarz" trugen. Bis er endlich auf den Schwarzen Mohn stieß. Leider gab es nur einen äußerst kurzen Beitrag.

Schwarzer Mohn (lat. papaver nigrum). Da der schwarze Mohn hierzulande nicht vorkommt, haben wir leider keine näheren Informationen darüber. Nicht bestätigten Überlieferungen zufolge wird er in Australien sehr häufig zum Brauen von Schlaftränken eingesetzt. Gerüchte berichten, dass eine hohe Dosis von schwarzem Mohn in Kombination mit Schierling zu einem künstlichen Koma führen kann. Leider können wir nur von Vermutungen ausgehen.

Seine Lippen kräuselten sich. Nun, seit heute Abend verfügte nur er allein nicht nur über Überlieferungen und Vermutungen, sondern eine hundertprozentige Bestätigung. Er klappte das Buch zu und strich beinahe zärtlich über den Buchrücken.

Dann durchfuhr es ihn wie ein Blitz und er stellte es zu den anderen Büchern zurück und verschloss sorgsam die Vitrine.

Mit einem letzten Blick auf das Buch murmelte er: "Teuerste Aniram, hab ich dich endlich."