Kapitel 11 - Tor Nr. 1


Aniram war zu vielen Gesichtsausdrücken fähig, war sich jedoch in diesem Moment hundertprozentig sicher, selten dämlich auszusehen.

"Ka... Kan... der ist doch schon ne Weile tot, oder?"

Diese Überlegung untermalte sie mit einem dezenten Haareraufen.

Mit einem triumphierenden Grinsen, das er intelligenterweise auf die linke Gesichtshälfte beschränkte, griff er an ihr vorbei und nahm ein dickes, fleischiges Blatt vom Regal.

"Ich brauche nur einen Tropfen, versuchen Sie sich an einer der äußeren Adern."

Mit dieser knappen Anweisung überließ er sie ihrem Schicksal. Das Schicksal war nicht immer gerecht, eigentlich nie - dachte er schadenfroh.

‚Sev, dir kommen Ideen… die sind einfach nur als spektakulär zu bezeichnen.'

Selbstverständlich wurde von anderer Seite noch ein Veto eingelegt.

‚Was heißt spektakulär? Ich bezeichne es als ausgleichende Gerechtigkeit, denn niemand bedient sich mir gegenüber einer solchen Wortwahl. Und sollte er es wider Erwarten tun, nun, dann habe ich meine eigenen Methoden, diese Person wieder auf den Boden der Tatsachen zu holen.'

Von diesem inneren Disput bekam Aniram natürlich nichts mit. Ungläubig und erstaunt befühlte sie das dicke Blatt. Dieses herrlich satte Grün wurde von einem regelrechten Gespinst unterschiedlich starker Adern durchzogen. Obwohl die Härchen darauf mikroskopisch klein und genauso sattgrün waren, glaubte Aniram, Bewegungen auszumachen.

Kurz pustete sie dagegen und postwendend weiteten sich ihre Augen. Hatte sie eben ein Gemälde von Wassili Kandinsky gesehen? Um eine optische Täuschung vollkommen auszuschließen, machte sie sich an eine nähere Untersuchung. Dazu legte sie das Blatt vor sich auf den Tisch und ging auf die Knie. Aus dieser Position beäugte sie es von allen Seiten wie ein kleines Wunderwerk und blies aus verschiedenen Richtungen dagegen.

In diesem Moment war es ihr egal, dass sie vor dem Tisch kniete und sogar ab und zu ihren Kopf darauf legte. Alles würde sie tun, um dieses Teil näher zu inspizieren. Snape vergessen, Trank vergessen, alles vergessen. Dieser komische Kandinsky war wichtig.

Sie konnte aus allen Richtungen dagegen pusten, das Resultat war jedes Mal ein anderes Gemälde. Wahnsinn.

Wahnsinn, den sie verbal zu ergründen suchte.

"Absolut irre, das Teil. Wo wächst das?"

Ihrem flapsigen Ton schenkte er weder Beachtung noch Kommentar.

"Ich habe es vor einigen Monaten auf einer wenig besuchten Waldlichtung gefunden und seitdem damit herumexperimentiert."

"Aha", dämmerte es ihr, "mit anderen Worten, dieses Blatt war noch unbekannt, Sie haben es entdeckt und demzufolge müssen Sie ihm diesen Namen gegeben haben."

Grinsend zog sie ihren Zauberstab, richtete ihn an sich vorbei nach hinten, irgendwo in Richtung Snape-Pergament, und murmelte etwas.

Er fuhr herum, obwohl er sich vorgenommen hatte, nie, nie mehr zu erschrecken. "Was haben Sie eben getan?"

"Nun, ich habe Ihrer Liste eine weitere Spalte hinzugefügt. Sie scheinen doch über eine gewisse kulturelle Bildung zu verfügen."

Ihr äußerst zufriedenes Grinsen verbarg sie, indem sie fast mit der Nase über dem Blatt hing.

Der Sev in ihm wollte eine sarkastische Bemerkung fallen lassen - nämlich, dass sie das Blatt einschneiden und nicht essen sollte, der Snape in ihm legte Veto ein und bemerkte am Rande, dass er mit dieser Bemerkung, egal wie sarkastisch sie war, das Hinzufügen dieser weiteren Spalte vollkommen ignorieren würde.

Zu seinem Ärger, sich in einer Zwickmühle zu befinden, weil er unschlüssig war, worauf er nun zuerst antworten sollte, gesellte sich leichter Zweifel an sich selbst. Denn wegen seiner vorübergehenden Handlungsunfähigkeit erledigte sich alles wie von selbst. Auch wenn ihn ihre nächsten Worte aufscheuchten.

"Schwester, Skalpell."

Genervt verdrehte Snape die Augen. War denn keine Tätigkeit ohne irgendeinen dummen und hoffnungslos überflüssigen Kommentar möglich?

Aniram hatte sich inzwischen wieder erhoben, zum Messer gegriffen und die Spitze an einer relativ dünnen Stelle angesetzt. Beherzt schnitt sie hinein und schrie erschrocken auf. Ruckartig schoss ihr Kopf nach oben. Sie blinzelte irritiert.

Er schenkte ihr lediglich einen kurzen Blick. Selbstverständlich genoss er es noch voller Inbrunst, sich über das vor ihm stehende Missgeschick auszulassen.

"Ich dachte immer, schwarz und gelb wären die Farben der Hufflepuffs. Geben Sie Acht, dass Sie dem Fetten Mönch nicht über den Weg laufen."

Verdutzt schaute Aniram auf dieses Blatt. Was aus dieser leicht eingeritzten Ader hervorquoll, war quittengelb. Schwarz und gelb, toll. Wütend wollte sie sich das Gesicht abwischen, als wie aus dem Nichts eine Hand geschossen kam und ihr Handgelenk umklammerte.

"Nicht abwischen! Der Saft ist giftig und kann nur in getrocknetem Zustand von der Haut entfernt werden. Sehen Sie, was passiert, wenn man diesen Saft zu sehr in die Poren drückt."

Er hob leicht seinen Umhangärmel an und zeigte ihr sein Handgelenk. Dort war ein Krater neben dem anderen zu sehen. Dass es sich dabei um eine lächerliche Verletzung aus seiner Kindheit handelte, musste er ihr nun wirklich nicht unbedingt auf die Nase binden.

Aniram wimmerte, traute sich aber nicht zu sprechen, weil sie dachte, die Tropfen würden sich auf ihrem Gesicht verselbständigen. Mit großen Augen schaute sie ihn an.

"Nicht bewegen, er trocknet relativ schnell, wenn Sie Ihre Mimik im Griff haben."

Sie nickte leicht mit einem erstickten Winseln. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte es sich ihrer Kenntnis entzogen, dass sie überhaupt zu solchen Lauten fähig war.

Snape wandte sich wieder seinem Trank zu und stellte fest, dass mit einem Mal etwas fehlte. Ihr Geplapper. Fehlte es wirklich? Oh Merlin, wie genoss er diese paradiesische Stille. Er wandte sich ab, um einen Tropfen des Trankes im bisherigen Stadium ohne Kandinsky-Gift unter dem Mikroskop zu untersuchen. Er bebte fast vor Lachen.

'Schau an, red ihr ein, es ist giftig und schon ist sie still. Wer weiß, wie lange dieser Zustand anhält, also sollte ich ihn auskosten.'

Konzentriert, mit vorsichtigen Bewegungen, als wollte er die toxische Wirkung unterstreichen, nahm er mit einem Metallspatel einen Tropfen auf und ließ ihn in den Trank gleiten. Die Reaktion erfolgte umgehend. Es schäumte türkisfarben auf.

Das neben ihm ertönende Geräusch eines erstickten Gurgelns interessierte ihn herzlich wenig. Mit einem kurzen Zauberspruch hatte er seinen Trank wieder im Griff.

Etliche Fragen lagen ihr auf der Zunge, aber eine Bemerkung, eine Frage, geschweige denn mehrere verkniff sie sich lieber. Zugunsten ihres Gesichts. Sie hatte keine Lust, so auszusehen wie Snapes Handgelenk. Aniram zupfte kurz an seinem Umhang und quiekte stumm.

Das war ebenso absonderlich und neu wie das erstickte Winseln.

Er wandte sich um und sah in ihre Augen. Beinahe tat sie ihm leid, aber wirklich nur beinahe.

"Ich gehe davon aus, dass der Trank so aussehen muss. Immerhin ist es die erste Mischung mit Kandinsky-Gift. Also werde ich noch eine Probe abnehmen und sie untersuchen."

Entsetzt stellte er fest, dass er die Quantität ihrer Wortgewalt nun sein eigen nannte. Das traf ihn wirklich wie ein Schock. Denn es widersprach definitiv seiner Arbeitsweise. Nicht nur Arbeitsweise, eigentlich widerstrebte es seinem ganzen Wesen.

Lediglich im Unterricht war es unumgänglich, dass er sprach. Jetzt aber? Jetzt quasselte er drauflos wie sie. ER! SNAPE! Er - sprach - mit - seinem - Trank! Oder im Optimalfall mit dem Arbeitstisch. Vielleicht auch mit dem Versuchsaufbau. Aber er sprach eindeutig für sie, weil sie es nicht mehr konnte.

Erschien es so unwahrscheinlich, wirklich nicht mehr ohne ihre wortgewaltige Schleuder auszukommen? Man musste kein großer Rechner sein, um unwiderlegbar nachzuweisen, dass die Antwort auf diese Frage ein glattes Ja war. Zu sein hatte.

Mit einem nach innen verlegten Seufzen fasste er mit einer Zange ein Reagenzglas an und schöpfte etwas ab. Anschließend griff er zur Pipette und ließ vorsichtig einen Tropfen auf einen Objektträger fallen. Sorgsam klemmte er ihn in die Halterung und schaute durch das Okular des Mikroskops.

Ein zufriedenes Brummeln, zumindest definierte Aniram dieses Geräusch als zufrieden, verließ seinen Mund. Dann kritzelte er fast nicht sichtbar seinen Kommentar auf das Pergament. Aniram wagte es immer noch nicht, sich zu rühren, ansonsten hätte sie sich nach vorn gebeugt und entsprechend ihrer Natur, nämlich neugierig, mitgelesen.

"So, fertig für heute."

Wimmernd zupfte sie ihn am Umhang. Sie legte so viel Ausdruck wie möglich in ihre Augen. War das Zeug noch nicht eingetrocknet?

Snape drehte sich um und musterte ihr Gesicht. Eine wundervolle Mischung aus schwarzer, eingetrockneter Tinte, gelbem, eingetrockneten Pflanzensaft und um Erlösung bettelnde Augen. Er war versucht, mit seinen Fingerspitzen ihr Gesicht zu berühren. Natürlich nur, um zu testen, ob wirklich alles eingetrocknet war.

Mit unbewegter Miene zückte er seinen Zauberstab, richtete ihn auf ihr Gesicht und sprach einen Reinigungszauber.

Dabei spöttelte er: "Nicht dass Sie sich doch noch nach Hufflepuff verlaufen!"

Diesen Satz kombinierte er locker und äußerst schnell mit einem Obliviate.

Aniram zuckte kurz zurück und starrte auf den Zauberstab vor ihrer Nase. Ihre Augen wurden größer und größer, als es mit Macht in ihr Bewusstsein hämmerte, dass sie nicht die geringste Ahnung hatte, wie sich jemand nach einem solchen Zauber verhielt oder wie er aussah.

Fassungslos? Dämlich? Desorientiert?

Vor allem, WAS sollte sie vergessen oder was sollte verändert werden? Sie schluckte trocken, starrte auf den Zauberstab und von da aus wanderten ihre Augen in seine. Sie versuchte, einen irritierten Blick hinzulegen.

"Der eingetrocknete Saft, erinnern Sie sich? Es wäre keine gute Idee, ihn abzuspülen. Denn dann wäre ihr Bangen umsonst gewesen. In Kombination mit Wasser hat er dieselbe Auswirkung wie… frisch gespritzt."

"Ah." Sie hoffte, dass das reichte und nickte. Glücklicherweise hatte sich der Arbeitstisch nicht in Luft aufgelöst, also stierte sie wie gebannt darauf. Diese Erinnerung wollte er ihr bestimmt nicht nehmen. Also hatte sie wenigstens einen Anhaltspunkt für ihre Frage.

"Ähm, waren Sie denn", sie schlug ihre Stirn in mehrere Falten, "so einigermaßen zufrieden?"

Sie fragte, weil sie das Gefühl hatte, irgendetwas sagen zu müssen. Selbstverständlich erwartete sie keine ernsthafte Antwort auf diese lediglich rhetorisch gestellte Frage. Währenddessen flehte sie intensiv die Große Mutter an, dass es unbemerkt bliebe, dass sein Zauber wirkungslos war.

Die Große Mutter war allerdings nicht mehr für ihre Entscheidung zuständig, dass sie zwingend an einem Obliviate-Gesicht arbeiten musste.

"Für den Anfang nicht schlecht, wenn auch etwas stümperhaft, Miss Hawkwing. Sie werden erfreut sein zu hören, bei einem Meister in die Lehre zu gehen."

Mit einer Handbewegung entließ er sie. Beinahe gleichzeitig fuhr ihm sein Gewissen in die Parade. ‚Du Idiot, wie kannst du sie als Stümper bezeichnen? Du weißt doch ganz genau, was sie kann.'

Stümperhaft? Aniram glaubte zu träumen. Dann nickte sie heftig, bevor sie sich verriet, drehte sich auf dem Absatz um und verließ fluchtartig den Kerker. Draußen tat sie das, worauf sie im Interesse ihrer Tarnung drinnen verzichtet hatte - sie fuhr aus der Haut und machte sich ihrem Ärger so richtig Luft.

"Stümper? Das ist nicht meine erste Assistenz und Okuna war immer zufrieden. Immer!"

Die Gemälde an den Wänden warfen sich bedeutungsvolle Blicke zu. Würde sie heute wieder so schreien?

Aniram wurde tatsächlich lauter. "Okuna war begeistert. Und diese Nebelkrähe da hinten nennt mich Stümper, ich glaub das einfach nicht."

Was sie nicht wusste, war die Tatsache, dass Snape seine Tür geöffnet hatte und ihrem Schimpfen zuhörte, das weithin hallte. Er zauberte einen exzessiv glückseligen Ausdruck auf sein Gesicht.

Aniram öffnete ein imaginäres Sprechgerät und sagte dreimal "tut, tut, tut". "Hier Notrufzentrale, was kann ich für Sie tun?

Reaktivieren Sie umgehend Professor van Helsing. Schicken Sie ihn mit allem was nötig ist, nach Hogwarts. Das Ding liegt in Schottland. Nein, keine Ausflüchte, mir ist bekannt, dass van Helsing nur tiefgefroren ist. Es wird ihn außerordentlich freuen zu hören, dass ich eine neue Spezies von Blutsaugern entdeckt habe. Eine, die sich auch tagsüber draußen aufhalten kann. Scheinbar hat die Evolution einen Sprung gemacht. Mir auch egal… Was? Ja, ja, Sie haben richtig gehört. Also her mit Holzpflock, Hammer, Weihwasser, Kruzifix, Knoblauchzopf und äh", ihr Schritt stockte kurz, als sie ein Gemälde mit einem Wolfsrudel passierte, "Silberkugeln, man kann ja nie wissen. Mayday Ende. - Und der nennt mich Stümper. Soll sich mal selber angucken, dieser Lump, dieser…"

Sie wurde von einem dezenten Räuspern unterbrochen. Wütend schleuderte sie ihren Blick in die Richtung, aus der es kam. Ein allgemeines Aufseufzen war die Reaktion.

"Wir wissen schon, halt die Klappe."

"Ihr lernt schnell - und jetzt muss ich raus hier." Aniram rannte davon.

Professor Snape schloss seine Kerkertür. Dann lehnte er sich dagegen und ließ diesem kribbelnden Gefühl im Bauch freien Lauf. Es kämpfte sich nach oben und er biss sich auf die Lippen, um nicht laut zu lachen. Merlin, wann hatte er sich das letzte Mal so befreit gefühlt? So richtig diebisch gefreut? Nie.

Langsam ging er auf seinen Schreibtisch zu, blickte ihn an, entschied sich, Versuch Versuch sein zu lassen und hielt sich an ihren Rat. Vielleicht war sie deshalb immer so gut gelaunt, weil sie Obst aß. Das spitzbübische Lächeln eroberte zwar nur für kurze Zeit seine Augen, aber mit genau diesem Lächeln zauberte er sich einen Teller mit Mangostückchen auf seinen Tisch und tat etwas für seine Haut.

Van Helsing... Erneut musste er gegen einen Lachanfall ankämpfen.

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Die Tage vergingen, wurden zu Wochen, und immer noch durfte sie allabendlich antanzen. Es waren Zeiten, in denen sie kurzfristig verzweifelte. Mehrmals stellte sie sich die Frage, ob sie wirklich nichts anderes machen durfte als Zutaten zusammensuchen, abmessen und dann kommentarlos in der Gegend herumzustehen, als Kerkerstaffage sozusagen. Australier hatten im Grunde genommen nicht viele Regeln, aber eine stand ganz oben: nie still stehen. Still stehen war für sie tödlich. Und Snape brachte sie definitiv zum Stillstand.

Eines Abends platzte es aus ihr heraus. "Sagen Sie mal, wofür brauchen Sie eigentlich eine Assistentin?"

Unendlich langsam drehte er seinen Kopf in ihre Richtung und hob fragend eine Augenbraue.

"Na ja, ich dachte, ich darf auch mal was zusammenmatschen. Ich mach immer nur die Vorbereitungen und Sie haben das Vergnügen. Das ist gemein!" grummelte sie.

Gedehnt antwortete er: "Ich weiß nicht, wie sie darauf kommen, dass Sie eine Assistentin sein könnten. In meinem Schreiben stand etwas von Aushilfe. Aber da ich Ihren Hang zum Zusammenmatschen kenne…", er wies mit einer eleganten Handbewegung auf alles, was auf dem Tisch angeordnet war und trat einen Schritt zurück, "versuchen Sie Ihr Glück."

Ungläubig und gleichermaßen von Angst gepackt, dass er sein Angebot wieder rückgängig machen konnte, schmiss sie sich mit einem Jauchzen in seine Arme und platzierte einen lautstarken Schmatzer auf seiner Wange. Dann drückte sie ihn rigoros beiseite, als hätte sie es mit einer Schaufensterpuppe zu tun.

"Ich darf, ich darf, Halleluja..."

Professor Snape bekam das erste Mal eine Vorstellung davon, wie es war, wenn jemand zur Salzsäule erstarrte. Er wollte die Hand nicht heben, weil er nicht glaubte, was da eben passiert war. Staunend blickte er auf ihren Hinterkopf. Was war das eben? Er war zu verwirrt, um angemessen zu reagieren.

Aniram ließ das Pergament schweben, hob ihren Unterarm, legte ihren Zauberstab darauf und machte einige Schussgeräusche. Die Arbeitsanleitung hing perfekt an der Wand.

Snape rollte die Augen. Ging denn nichts ohne... Außergewöhnlichkeiten? Allerdings kam er nicht umhin, von ihrer Arbeitsweise schlichtweg begeistert zu sein. ‚Ja, ja, Sev, gib es wenigstens einmal zu.' Mit einem unwilligen und innerlichen Brummeln schob er diesen Satz umgehend in unergründliche Tiefen, um nie wieder daran zu denken. Gleichzeitig sah er ein, dass es ein Ding der Unmöglichkeit war, sie auf dem untersten Level halten zu wollen. Sie demonstrierte schließlich tagtäglich im Unterricht, was sie konnte.

Was aber gleichzeitig der Grund war, dass er unter allen Umständen verhindern wollte, dass sie irgendein überdimensionales Glücksgefühl beschlich. Sonst bildete sie sich womöglich ein, mit ihm auf einer Stufe zu stehen. Genau deshalb hatte er sie bis heute nur Handlangerarbeiten erledigen lassen.

‚Fehler, Snape, Fehler', konstatierte er trocken. ‚Vielleicht hat Albus doch recht und sie ist abends so in Fahrt, weil sie ja im Unterricht still sein muss, dass sie sich doch zu der einen oder anderen Bemerkung hinreißen lässt.'

Schwierige Gedanken, träge Gedanken. Die brutal auseinander gerissen wurden.

"Einspruch, Euer Ehren!"

Der Trank hatte wohl das nächste Stadium erreicht, denn sie hatte zur Beobachtung einen Tropfen unter das Mikroskop geschoben.

Snape war jetzt so weit, dass er stöhnte.

"Miss Hawkwing, arbeiten Sie nie, nie vollkommen ruhig, geschweige denn ohne Äußerungen von sich zu geben, die überhaupt nicht hierher passen?"

Seine Nasenflügel bebten. Eigentlich sollte er sich langsam daran gewöhnt haben, dass sowohl Qualität als auch Quantität ihrer Arbeitsweise UND ihres nervenden Verhaltens übereinstimmten.

"Nö." Nachdem Aniram ihre Sehschärfe reguliert hatte, begann sie in feinster Dozentenmanier.

"Sehen Sie, oder nein, versuchen Sie sich in eine Person hineinzuversetzen, die ungefähr eine Woche lang im Outback unterwegs ist. Sie weiß nicht, ob und wann sie auf einen Pfad kommt oder ob eine andere Person ihren Weg kreuzen wird."

Dann schrieb sie eifrig auf dem bereitgelegten Pergament.

"Cool, Mann. Äh ja, und auf so einer Wanderung beginnt man zu brabbeln, erst still vor sich hin und dann laut, weil man sich einreden möchte, dass man nicht vollkommen allein ist. Man muss irgendetwas hören, und wenn es die eigene Stimme ist, verstehen Sie?"

Ihr eifriges Kritzeln ging weiter.

"Ja, und irgendwann ist diese Person so weit, dass sie sagt, ich bin cool, Mann. Und das, während die Sonne lotrecht vom Himmel sticht." Sie lachte leise.

Mit funkelnden Augen hatte er schon wieder etwas parat.

"Sollten Sie sich nicht vorübergehend für nur eine Tätigkeit entscheiden? Auf das Einschleichen von Fehlern möchte ich nach Möglichkeit verzichten."

Der letzte Satz kam gezischt und er verschränkte selbstgefällig seine Arme vor der Brust.

"Hehe, warum denn?"

Schon das erste Wort warf ihn wieder aus der Bahn. Hehe...

"Denn... ich befleißige mich nicht nur einer kongruenten Ausdrucksweise, wie Sie bei meinem Eintritt in diese… hm, sagen wir, Schule bemerkten, sondern ich verfüge über die einmalige Fähigkeit, beide Gehirnhälften gleichzeitig arbeiten zu lassen. Unabhängig davon, dass meine Augen sehen, meine Hand schreibt und mein Mund spricht. Ich glaube, das nennt man Interferenz. Aber das kann nicht jeder."

Ein kritischer Blick in seine Augen machte deutlich, dass sie damit gewisse, die Farbe Schwarz bevorzugende Personen meinte.

Mit zusammengekniffenen Augen suchte er nach einer gebührenden Antwort. Was ihm gar nicht so einfach fiel. Sie überraschte ihn immer aufs Neue. Auf der einen Seite ihre Flapsigkeit, mit der sie Zauberstäbe als Stecken bezeichnete und auf der anderen Seite eine geschliffene Wortwahl einschließlich des Satzbaus. Sie passte in sich nicht zusammen. Wenn er sie nicht mit eigenen Augen sehen und hören würde, er wäre prompt der Meinung, es mit zwei verschiedenen Personen zu tun zu haben.

Also holte er sich ins Gedächtnis zurück, was sie über ihre Wanderungen gesagt hatte. Die Sonne. Hämisch und eine gewisse Freude nicht verhehlend knurrte er: "Dann kann ich ja von Glück reden, dass diese Sonne meinen Raum nicht erreicht. Meine vier Wände schützen mich."

Aniram vergaß das, was sie gerade betrachtete.

"Ihre Vorstellung von einem Raum ist relativ interessant, Professor."

Wobei er sich sicher war, dass diese Anrede ein klein wenig spöttisch klang.

"Inwiefern?"

"Nun ja, streng geometrisch genommen befinden Sie sich erst in einem RAUM, wenn Sie Decke und Fußboden dazunehmen."

Sie hörte ein Gurgeln hinter sich, wenn auch sehr leise. Bevor er aber wieder grantig wurde, beschloss sie, die Situation etwas abzuschwächen.

"Wie weisen Sie eigentlich Gifte nach?"

Themenwechsel. Kongruenz, Interferenz und jetzt aus heiterem Himmel interessierte sie sich für den Nachweis von Giften. Seine Überraschung wollte er sich nicht anmerken lassen. Er versuchte zu kaschieren, so gut es ging. Wollte um keinen Preis der Welt zugeben, dass sie ihm in einem weiteren Punkt zumindest beinahe fast - er brauchte diese Erweiterungen für sein Ego - ebenbürtig war. Seine Antwort war deshalb auch entsprechend lang und gleichzeitig nichts sagend.

"Das ist vom Aggregatzustand des zu untersuchenden Materials abhängig. Also setze ich auch verschiedene Aggregatzustände von Testmaterialien ein."

‚Zweimal Aggregatzustände, Sev, wirklich toll.'

"Hmhm", kam es gebrummelt vom Mikroskop, "ziemlich aufwändig. Also wenn ich Sie richtig verstehe, kein Universalmittelchen, das Sie ständig einsetzen können. Wollen Sie wissen, wie wir das machen?"

"Sicher."

Aniram schenkte ihm ein honigsüßes Lächeln. "In Worten oder demonstriert?"

"Nach Möglichkeit demonstriert, wenn es nicht zuviel..."

"Tsts", schwächte Aniram mit einer Hand ab. Dann glitt ihr Blick suchend über die Regale. "Oh, wie sieht es mit dem Kandinsky aus? Ist der eher selten oder kommt er häufig vor?"

"Häufig."

Endlich würde er einen Zipfel vom Mythos Australien anheben. Sie würde ihm etwas von zu Hause zeigen. Welch ein Dussel er doch bis heute gewesen war. Albus hatte Recht behalten, im Arbeitseifer ließ sie sich dazu verleiten.

"Gut."

Aniram nahm mit spitzen Fingern ein Blatt, legte es auf ein Brett, nahm sich ein Glasscheibe, die sie flach darüber hielt, weil sie sich noch allzu gut an die Spritzer erinnerte, und griff anschließend nach einem Skalpell mit einem ungewöhnlich langen Griff.

Professor Snape fühlte sich wie abwechselnd in siedendes und eisiges Wasser getaucht. Jetzt noch Merlin anzurufen, warum er ihm die Eingebung, es wäre der letzte Vorrat, nicht zeitiger gegeben hatte, war unnötig. Er war sauer auf sich selbst.

Sie hatte inzwischen eine kleine Ader eingeschnitten und viele gelbe Spritzer bedeckten von unten die Glasplatte. Das Skalpell legte sie aus der Hand und lächelte.

"Wissen Sie, wie wir das machen? Nun", sie legte die Glasscheibe mit den Tropfen nach oben auf den Tisch und fuhr mit dem Daumen darüber, während sie mit der linken Hand nach seiner rechten griff, "wir tunken unsere Finger in die Flüssigkeit, streichen sie sorgfältig über unsere Haut und massieren sie immer stärker ein."

Er fühlte den ständig wachsenden Druck ihres Daumens auf seiner Hand, während sie ihm immer näher kam und ihn schalkhaft anblinzelte.

"Dann schauen wir fasziniert zu, wie sich diese Substanz durch unsere Haut frisst."

Snape wusste nicht, was er sagen sollte. Sie hatte ihn erwischt, eiskalt erwischt. Also hieß es jetzt Haltung bewahren. Wenn auch schweren Herzens.

"Eins zu Null für Sie."

Aniram nickte zufrieden. Mit beiden Händen hielt sie seine fest.

Beinahe verführerisch erklang es an seinem Ohr: "Spätestens jetzt wissen Sie, dass man Australiern besser nicht den Rücken zuwenden sollte, denn sie könnten irgendwelche waghalsigen Selbstversuche starten und herausfinden wollen, ob eine Kreuzung zwischen Ravenclaws und Hufflepuffs möglich ist."

"Spätestens dann, wenn sie gemustert hier erscheinen, Miss Hawkwing. Ich werde es mir merken. Danke für diesen Hinweis."

Sein Flüstern war genauso leise. Im Gegensatz zum Tonfall seiner Stimme froren seine Gedanken beinahe ein.

‚Merlin, wie bring ich jetzt den Zauber an? Ich kann sie ja nicht ihre eigenen Worte vergessen lassen.'

Diesmal erschien ihm die Anrufung von Merlin noch rechtzeitig genug. Auch wenn er keine Antwort erhielt.

Er verabschiedete sich knapp. "Bis morgen, Miss Hawkwing."

Und als sie ihm endlich in die Augen sah, konnte er den Zauber aussprechen.

Aniram versuchte, etwas dümmlich auszusehen, was sie nun schon jeden Abend tat, nickte, drehte sich um und verschwand. Sie musste sich unbedingt mit einigen Leuten unterhalten, sehr, sehr unauffällig verstand sich, um herauszufinden, wie eine Person nach einem bewusstseinsverändernden Zauber aussah. Denn wenn sie jeden Abend Bauklötzer staunte, als hätte sie diesen Kerker nie gesehen, würde sie irgendwann auffliegen.

Draußen plusterte sie gehörig die Backen auf und stierte mit vorquellenden Augen das nächstbeste Gemälde an - dessen Inhalt schon vorsichtshalber den Kopf zwischen die Schultern zog.

"Weißt du, wie jemand nach Obliviate guckt?"

Mit einem leicht befreiten Seufzer kam Leben in das Gemälde. Das aber trotzdem den Kopf schüttelte und somit den Eindruck erweckte, als wäre es selbst noch als Gemälde diesem Zauber ausgesetzt.

Es war lediglich froh darüber, dass es sich diese seltsame Besucherin abgewöhnt hatte, auf dem Gang herumzuschreien.



Kapitel 12 - Träge Gedanken



Gegen seinen Willen beschäftigte sich Professor Snape wie manchen, nein, mittlerweile jeden Abend mit Australiern.

Diesmal stand die Frage, ob gedächtnisverändernde Zauber für sie vielleicht zu stark waren, im Raum. Zwar sahen sie aus wie normale Menschen, was aber war, wenn sie eine andere Hirnstruktur hatten? Nach seinem bisherigen und ärgerlicherweise mickrigen Kenntnisstand über diese Spezies könnte das durchaus der Fall sein.

Doch schon bei der Formulierung "normal" konnte er nicht verhindern, dass sein Mundwinkel zuckte.

Sie waren definitiv NICHT normal.

Was also war mit dem Kopf? Oder sollte er es besser mit "im Kopf?" formulieren? Es irritierte ihn über alle Maßen, dass sie jeden Abend ziemlich dämlich aus der Wäsche glotzte. Er fand sogar, dass er ihr Aussehen damit noch relativ höflich und vorsichtig beschrieb. Seine Gedanken rannten unaufhörlich im Kreis, sie gerieten in Treibsand und wurden von ihm verschluckt, als wären sie nie vorhanden gewesen.

Hoffentlich zerstörte er mit diesem Zauber nicht ihren Geist. Warum auch musste nur so wenig über Australier bekannt sein? Bis auf die Tatsache, dass sie wie Berserker zu arbeiten schienen, ständig frohgelaunt waren, ein loses Mundwerk hatten und um Steine rannten.

Es tröstete ihn keineswegs, dass dieses rudimentäre Wissen einzig und allein ihm zugänglich gemacht worden war. War es ein Zufall, war es Absicht? Er konnte es nicht sagen.

Und so begann er wieder von vorn und verlor sich in seinen Grübeleien, während er den Versuch zusammenräumte. Ungläubig stierte er auf seine Hände, als hätte er sie noch nie gesehen. Schreckensstarr hielt er inne.

Vorübergehend platzte eine vollkommen andere Überlegung in sein Hirn. Er ließ eine Schülerin gehen und räumte auf!

DAS gehörte ebenfalls in die Rubrik "Unikat". So etwas war noch nie vorgekommen.

‚Hör doch endlich auf, sie ständig in den Dreck zu treten. Dafür hat sie immerhin etliche Tage nur die Vorarbeiten gemacht.'

Dieses Gefühl, als spräche sein Kopf zu seinen Händen, war absolut surreal. Dann wurde es total verrückt, so verrückt, wie nur Australier sein konnten. Denn aus einer Ecke, die bisher stillgehalten hatte, kam eine empörte Gegenfrage.

‚Hör mal, seit wann bist du so human?'

"Ich bin so human wie ich will. Und jetzt sei still. Kann ich gerade noch brauchen, mich mit mir selbst zu streiten. Außerdem krieg ich gleich Besuch, also halt die Klappe. Du weißt genau, dass sie gehen muss."

Unbeherrscht polterten diese Worte laut über seine Lippen. Voller Ingrimm und teilweisem Zorn. Nur fand er nichts und niemanden, über den er seinen Zorn ableiten konnte. Schüler waren nicht mehr da, die in diesen Hochgenuss Snapescher Freuden kommen konnten.

"Klappe halten scheint sich zu einem äußerst gebräuchlichen Verhaltensmuster hier unten zu entwickeln. Meinst du nicht auch?"

Dumbledore stattete ihm wie jeden Abend, seit Severus seine Aushilfe eingestellt hatte, einen Besuch ab. Eigentlich tat er das immer, auch ohne die aktuelle Ausrede, Australien erkunden, erforschen und erkennen zu müssen, zu wollen, zu können - aber gerade Australien hatte es ihm angetan.

Wie er Severus bereits in einem Gespräch gesagt hatte - er war neugierig. Und Miss Hawkwing nicht gerade Professor Binns, der unaufhörlich und stundenlang redete. Mit einem Unterschied: Miss Hawkwing könnte sich der ungeteilten Aufmerksamkeit ihres Auditoriums sicher sein.

"Entschuldige, Albus, ich habe dich nicht kommen hören." Snape hob entschuldigend eine Hand.

"Na, na, halb so wild." Der Direktor winkte ab und kam auf den Punkt.

"Gab's heute was Neues?" Er wurde nie müde, diese Frage zu stellen.

"Oh ja, sie hat mir gezeigt, wie in Australien Gifte nachgewiesen werden."

Dumbledore beugte sich nach vorn, mit einem triumphierenden Lächeln auf den Lippen. Eine Weile herrschte Schweigen. Dann wurde es selbst dem Direktor, der sonst über eine unendliche Geduld zu verfügen schien, zu langatmig.

"Na wie denn nun?"

Snape überlegte erst eine Weile, bevor er antwortete. Es entbehrte nicht eines gewissen Reizes, Albus so zappeln zu sehen. Er spannte sein Gesicht an und schaute kurz weg. Als er seine Mimik wieder unter Kontrolle hatte, antwortete er mit stoischer Gelassenheit, als wäre das Nachfolgende das Normalste der Welt.

"Sie tunken ihre Finger hinein und benutzen es als Hautpflegemittel. Ihre eigenen Worte waren…: ‚wir schauen fasziniert zu, wie sich diese Substanz durch unsere Haut frisst'."

Fast könnte man meinen, Albus Dumbledore nähere sich dem Erstickungstod.

"Beim Barte des Merlin", selbigen heftig raufend, "wie müssen die nur alle aussehen?"

Er starrte von der Platte des Arbeitstisches in ein schwarzes Augenpaar, als erwarte er von dort eine Antwort.

Snapes Mimik hielt sich grundsätzlich in Grenzen, doch diesmal lachten seine Augen.

"Ich habe sie den Kandinsky zerschneiden lassen. Es handelt sich um ein Blatt, außerordentlich zäh und schlecht zu bearbeiten, aber sehr interessant. Miss Hawkwing beugt sich mit Feuereifer darüber und hat es doch tatsächlich geschafft, eine Ader einzuritzen. Nur leider spritzt das Zeug unheimlich. Sie sah aus, als litt sie unter der schlimmsten Form der Akne.

Jegliche Bewegung, auch das Sprechen, habe ich ihr verboten. Ich riet ihr, sämtliche Aktivitäten zu unterlassen, da es sich bei Kandinsky-Saft um hochtoxisches Material handelt. Es kann nun einmal nur in getrocknetem Zustand entfernt werden. Also stand ihr Mundwerk, für das sie einen Waffenschein benötigt, endlich einmal still."

Er hob seine rechte Hand, die vor gar nicht langer Zeit diese kreative kosmetische Behandlung erfahren hatte. Die Außenfläche wandte er Albus zu.

"Hier siehst du nun die Spuren dieses Giftes."

Seine Augen schossen kleine, belustigte Pfeile ab.

"Sie hat mir empfohlen, ihr nie wieder den Rücken zuzudrehen, da ich spätestens jetzt mit dem Wissen leben müsse, dass Australier einen stark ausgeprägten Hang zu Selbstversuchen haben."

Albus hatte das Herumwühlen in seinem Bart eingestellt und folgte gespannt Severus' Worten. Als er geendet hatte, grinste er so breit wie nie. Dieses Grinsen nahm schließlich von seinem Körper Besitz und formierte sich über ein leichtes Glucksen zu einem ausdrucksstarken Lachen, das so kräftig war, dass ihm Tränen über die Wangen liefen.

Schon allein die Vorstellung von einem Zaubertrankprofessor, der alle Mittel einsetzte, um Miss Hawkwing zum Schweigen zu bringen, war sämtliche Tränen wert.

Severus' Mundwinkel zuckten leicht. Dann hörte er die unter Keuchen hervorgebrachte Frage.

"Dann hat sie es dir so richtig gezeigt, was?"

Er gab nichts weiter als ein Nicken von sich.

"Und weiter?" Albus konnte störrisch sein, keiner wusste das besser als Snape. Sein zweiter Mundwinkel hob sich leicht.

"Ich habe sie zu diesem Eins zu Null beglückwünscht."

"Oh!"

Dumbledore brachte es tatsächlich fertig, aussehen wie ein kleines Kind, das staunte.

"Du", er piekte mit seinem Zeigefinger auf Snapes Brust, "hast dich vor und von einer Schülerin geschlagen gegeben? So richtig wörtlich?"

Wenn es nicht aus dem Mund seines Gegenübers kommen würde, dann hätte er das nie geglaubt. Er hätte jeden anderen, der ihm erzählte, dass Professor Snape jemals die Waffen streckte, mit einem "Hör-anständig-zu-Zauber" belegt. Aber so? Aus dessen eigenem Mund?

"Ja sicher, wörtlich", knurrte dieses Gegenüber, "soll ich das vielleicht noch schriftlich geben?"

Dann erstarrte er und dachte an die beiden Pergamente, die so unschuldig auf seinem Schreibtisch herumlagen. Leicht, wirklich nur leicht grinsend drehte er sich weg.

Schnell beendete er die Tätigkeit, bei der ihn Dumbledore bei seinem Eintritt vorgefunden hatte. Der Trank konnte bis morgen vor sich hin köcheln, es würde nichts passieren.

Dennoch kroch eine Gänsehaut über seinen Rücken und ließ ihn frösteln. Die Anwesenheit von Miss Hawkwing und sein ständiger Kampf gegen Was-auch-immer, das sie in den unergründlichen Tiefen ihres Kopfes verborgen hielt, hatte ihn vollkommen davon abgelenkt.

Davon abgelenkt, dass nicht nur Australier, sondern auch Albus über ein und dieselbe Fähigkeit verfügten. Beide schafften es durchaus, ihn mit direkten Worten aus der Bahn zu werfen.

Albus' Worte bewiesen das. Und schon wieder meldeten sich Dr. Jekyll und Mr. Hyde.

‚He, worüber wunderst du dich eigentlich? Das müsste dir aber langsam bekannt sein.'

"Ja, aber Albus war schon eher da gewesen."

Unbeherrscht hatte er diesen Satz laut ausgesprochen.

Wenn Dumbledore sich wunderte, gab er dennoch keinen Kommentar dazu ab. Scheinbar kämpfte da etwas in seinem Zaubertrankmeister. Er mit sich selbst?

Obwohl von Neugier geplagt, stellte er trotzdem keine Fragen. Severus würde schon selbst kommen, wenn ihn etwas belastete. Wenn er Rat und Hilfe suchte. Auch wenn das ziemlich unwahrscheinlich war.

Jetzt in ihn zu dringen wäre wohl das gravierend Falscheste, was er sich vorstellen konnte. Nichts war so herabwürdigend wie Penetranz.

Nur eine einzige Frage musste er loswerden, ganz am Rande, und er hoffte darauf, dass es Severus vorübergehend ablenkte.

"Was hast du eigentlich vorhin gemeint, mit diesem ‚Wissen, dass sie gehen muss'?"

"Ich weiß auch nicht", murmelte Snape, "zu einer bestimmten Zeit habe ich das Gefühl, sie sollte gehen. Sie muss gehen."

Er verschwieg, woher dieses Gefühl kam. Er verschwieg, dass er sie bereits einmal ganz anders erlebt hatte. Dieses Bild hatte sich nachhaltig in sein Gehirn gebrannt.

Das Öffnen der beiden oberen Knöpfe ihrer Bluse, als ob sie sich damit mehr Luft verschaffen wollte. Ihre fahrigen Handbewegungen. Schweißnasse Hände. Zittern - wobei er sich das Letzte durchaus einbilden konnte. Dunkle Augen, die eindeutig von Angst zeugten. Da war nichts mehr von Bernstein zu erkennen gewesen. Keine unaufhörlich brennende Sonne, nicht einmal mehr das kleinste Licht. Schreie. Ihre Wortwahl, an der er erkannte, dass sie neben sich stand.

All das ließ ihn nicht mehr los. All das ließ ihn antworten. Wenn er auch all das nicht sagte.

"Es scheint, als würde sie unter einer gewissen Angst leben, hier unten. Zumindest dann, wenn ich eine bestimmte Zeit überschreite. Frag mich nicht, ich weiß es einfach nicht. Nenn es von mir aus Intuition. Aber bevor sich diese Beklemmung oder wie auch immer man das bezeichnen mag noch mehr ausweitet, schicke ich sie nach oben."

Mit oben meinte er den Ravenclaw-Turm. Abschließend zuckte er mit den Schultern, als sei es ihm gleichgültig.

"Hmhm, dann deckt sich das so ziemlich mit den Aussagen aller Lehrer. Sie fühlt sich unwohl. Ich glaube, Beklemmung ist das richtige Wort. Nur weiß keiner, was sie beklemmt. Solange sie nicht selbst entscheidet, den ersten Schritt zu tun und um Hilfe zu bitten, sind wir leider machtlos. Ach, meinst du wirklich, sie geht nach oben?"

Professor Snape schaute voller Unverständnis. "Wohin denn sonst?"

"Erinnerst du dich an den Krokodilabend?" Dumbledore kicherte. "An diesem Abend ist sie mir doch über den Weg gelaufen. Sie war so sehr in Fahrt, dass sie mich beinahe umgerannt hätte. Nachdem ich sie nach draußen auf die Treppe befördert hatte, glaubte ich zu erkennen, dass ihre Lebensgeister wiederkehren würden. Ich weiß nicht, ob es das trifft. Aber zumindest so in etwa. Sie hatte dort draußen so einen komischen Blick", sinnierte er weiter, "du entschuldigst das Wort komisch, aber sie sah aus wie, wie benebelt. Mir geht es da wie dir, ich kann es auch nicht genau ausdrücken. Aber ich weiß, dass es eine ganze Weile gedauert hat, bis sie sich richtig erholte, denn erst zwei Stunden später hat Filius sie aufgelesen uns ins Bett geschickt. Natürlich ohne Punktabzug."

Kurzfristig machte sich ein Grinsen auf seinem Gesicht breit.

"Minerva, Hooch und selbst unsere durchgeistigte Sibyll haben mir dasselbe berichtet. Nämlich, dass sie nachts draußen auf der Treppe sitzt."

Snape hatte inzwischen eine gewisse Übung darin, sprachlos zu sein. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen - und schloss ihn wieder.

Dumbledore nickte. "Ich habe erst einmal angewiesen, nichts zu unternehmen. Es sei denn, es wird Winter und sie friert auf den Stufen fest."

Severus Snape war immer noch still und überlegte. Dann verließ seinen Mund eine Antwort, die einer Hawkwing gerecht wurde.

"Wenn es Winter wird, gebe ich ihr einen zweiten Umhang mit."

Das brachte er so trocken über die Lippen, dass sein Direktor schon wieder lachte.

"Einfach köstlich, einfach köstlich."

"Oh, Albus, du weißt nicht so richtig, was köstlich ist."

Er drehte sich um und rief mit dem Aufrufezauber ein kleines Tellerchen herbei, das er zwischen sich und Albus schweben ließ. Trocken kommentierte er: "Ich muss etwas für meine Haut und mein sonniges Gemüt tun."

Ein gelbes Fruchtstück - zumindest nahm Albus an, dass es eine Frucht war - wanderte vom Teller in den Mund von Severus. Der jetzt nicht nur mit dem Mundwinkel zuckte, sondern relativ breit grinste. "Mango. Greif zu."

Der Direktor von Hogwarts, Träger des Ordens des Merlin Erster Klasse und ein hohes Tier überhaupt, staunte nun wirklich. Sein Staunen machte einer gesund gebliebenen Neugier Platz, als diese heiß und lang ersehnte Frucht nun endlich vor seiner Nase hing. Sonniges Gemüt… Seit wann machte sich Severus Sorgen um sein Gemüt?

Allerdings hatte er ihn auch noch nie grinsend gesehen.

Er angelte sich ein Stückchen vom Teller, roch daran, fand am Geruch absolut nichts, was einen Menschen abheben lassen konnte und steckte das Stückchen in den Mund. Erst vorsichtig genießend, dann immer heftiger kauend genoss er dieses Aroma.

"Köstlich, Severus, köstlich!" Begeistert klatschte er in die Hände. "Ich glaube, das wird von heute an meine Nahrungsmittelergänzung. Gut, wirklich gut. Diese Australier wissen, was schmeckt." Damit schloss er sich dem breiten Grinsen von Severus an.

‚Wie wahr, wie wahr.'

Natürlich konnte Snape unmöglich zugeben, dass er jedes Gericht, das sie jemals aufgezählt hatte, der Reihe nach probierte. Die ganze Platte hatte er schon durch. Die Mango jedoch hatte es ihm besonders angetan. Vielleicht hing das mit der Art und Weise des ersten Kennenlernens und Verzehrens zusammen… Seine Augen verloren sich in der Ferne.

"Isst du das öfter?" Diese Frage holte ihn wieder auf den Fußboden zurück.

"Ja, jeden Abend. Aber nicht, weil es schmeckt. Sondern weil ich herausgefunden habe, welche Nährstoffe, Mineralien und Vitamine sie enthält und dass man damit sehr wohl ein Abendessen ersetzen kann."

Was er da alles herunterrasselte und wie er es herunterrasselte, klang mehr als an den Haaren herbeigezogen. Mineralien! Das wäre so, als ob er auf einem Stück Quarz herumkauen würde. Aber diese direkte Frage wollte er nicht so schlicht beantworten. Sonst dachte Albus womöglich noch, er aß es zum reinen Vergnügen.

Dumbledore entwickelte eine hohe Essgeschwindigkeit. So hatte er wenigstens ständig einen vollen Mund und konnte seine Beobachtungen für sich behalten. Natürlich hatte er gemerkt, dass etwas in seinem Zaubertrankmeister vorging. Nur - dieser Zustand hielt bereits seit Wochen an.

Soweit man das von diesem unnachgiebigen, knurrigen und unbeliebten Mitglied seines Lehrkörpers überhaupt sagen konnte, hatte er eine weichere Seite entwickelt. Er war sich sicher, diese Seite als einziger zu bemerken, denn nach außen hin schien er wie immer. Nein, er WAR wie immer.

Fegte nachts durch die Gänge, inspizierte alle Ecken, von denen er der Auffassung war, hier könnte Unfug getrieben werden. Jeden Verstoß, den er registrierte, ahndete er voller Freude. Da schon allein sein Name für Qualität der Strafarbeit bürgte, wollte es normalerweise niemand darauf anlegen, ausgerechnet ihm unter die Augen oder in die Hände zu kommen.

Dennoch hatte er dank der Unachtsamkeit und Nachlässigkeit pubertierender und über die Stränge schlagender Schüler blitzblanke Labore und Arbeitsmaterialien.

Nur, wenn ein Fall seine volle Aufmerksamkeit verlangte, schickte er alle anderen Delinquenten zu Filch, der sie genussvoll Pokale putzen oder Bettpfannen reinigen ließ. Solch ein Fall war Miss Hawkwing. Zumindest vermittelte es Dumbledore diesen Eindruck, je länger er sich mit diesem Gedanken auseinandersetzte.

Zu den Mahlzeiten verhielt er sich ähnlich kontrastreich und wie immer. Er zog Punkte ab, sobald er nur von jemandem gestreift wurde. Schnappte einer nach Luft, bekam er noch mehr Punkte abgezogen.

Das war Severus Snape, wie er leibte und lebte.

Doch die Unterredungen mit ihm, seit er seine Aushilfskraft eingestellt hatte, wiesen in eine gänzlich andere Richtung. Natürlich hatte er sich nicht von einen Tag auf den anderen in einen Schmusekater verwandelt, aber Albus hörte dennoch eine gewisse Anerkennung der Arbeit von Miss Hawkwing heraus. Es war unüberhörbar, dass er sich regelrecht freute. Auch wenn er es versteckte und unter dem Mantel der Gereiztheit und Unnahbarkeit verbergen wollte.

Snape wunderte sich, weshalb sein Gegenüber so abwesend war. So vertieft in die Mango? Aber er ließ seinen Direktor grübeln und war gespannt auf das Resultat dieser Grübelei. Denn meist heckte er mit diesem kindlich-freundlichen Gesichtsausdruck irgendetwas aus.

Hoffentlich bemerkte er nicht, dass er diese Abende mit Miss Hawkwing, die zugegebenermaßen bei seiner Kritik nicht gerade gut wegkam, regelrecht genoss. Er sehnte sich danach. Erschrocken darüber gebot er seinen Gedanken Einhalt.

Wenn er alles mit genügend Abstand und vollkommen nüchtern betrachtete, ließ sich nicht verleugnen, dass er abends ein vollkommen anderer Mensch war als derjenige, der tagsüber unterrichtete. Wenn er diese Wandlung, die zögernd vonstatten gegangen war, abschmetterte, würde er schamlos lügen.

Es waren viele kleine Dinge, die zu Tage getreten waren. Würde ein Professor Snape jemals einen Schüler - zu was auch immer - beglückwünschen? Würde er nicht nur lächeln, sondern regelrecht grinsen?

Dass er eine andere Umgangsform an den Tag legte, wenn er mit Albus allein war, das wusste er. Dieser jedoch hatte ihn aus einem tiefen Loch gezogen und war seitdem immer für ihn da gewesen. Auch wenn das eine gewisse Gegenleistung, die "nur" sein Leben betraf, einschloss.

Ein leichtes Bröckeln seiner Fassade bemerkte er auch, wenn er von australischem Flair gestreift wurde. Verzweifelt stellte er sich die Frage, woran das liegen mochte. Er hatte darüber nachgedacht. Ja. Hatte er eine Antwort gefunden? Nein. Also musste er wohl von vorn anfangen.

Sein Gehirn bewegte sich inzwischen mit der Geschwindigkeit und in den Kurven einer Achterbahn und es war erstaunlich, dass sämtliche Gedanken nur einen Menschen betrafen.

Doch plötzlich wurde es hell. Er wusste urplötzlich, woran es lag.

Es war nicht allein die Tatsache, dass sie offenbar seine Leidenschaft für Zaubertränke teilte, es war nicht die Tatsache, dass sie vom anderen Ende der Welt kam, es war nicht die Tatsache, dass sie auf diese förmlichen Sirs und Professors verzichtete.

Nein, es lag daran, dass sie mit ihm sprach wie mit einem… Menschen. Nicht mit Professor Snape, vor dem ganz Hogwarts schlotterte.

Diese Erkenntnis traf ihn tief und ließ ihn eigentlich noch grübelnder zurück als am Anfang. Er stand neben seinem Arbeitstisch, Albus gegenüber, hielt ein Mangostück in der Hand und war dennoch nicht in der Lage, es zu essen. Im Gegenteil, benahe hätte er es fallen gelassen.

Dumpf stellte er sich die Frage, warum er diese Tatsache nicht einfach akzeptierte. Wollte er wirklich nichts anderes, als dass ihm jeder aus dem Weg ging? Zugegeben, es waren sehr merkwürdige Gedanken für einen Professor Snape, aber sie waren unleugbar vorhanden und gewannen in diesem Sumpf seiner Gedanken zunehmend an Macht.

Mit gefurchter Stirn schaute er auf den Kessel und ein leises Lächeln umspielte seinen Mund, kaum wahrnehmbar.

‚Arbeite endlich richtig mit ihr, du Trottel. Sonst erfährst du erstens nichts über Australien, zweitens kommst du mit dem Versuch nicht voran und drittens hättest du niemanden mehr zum Ärgern.'

Besonders der letzte Punkt ließ sein Gesicht unwahrscheinlich in die Breite gehen.

Dumbledore, der nicht wusste, woran Severus eben dachte, meinte trocken: "Wenn ich mir dein Gesicht so anschaue, dann sollte ich das wohl auch über Wochen hinweg nehmen."

Fragend und wieder auf den Boden geholt wanderte Severus' Blick vom Arbeitstisch in die hellen Augen seines Vorgesetzten und von dort auf die Mangos. Wie es schien, hatte Albus gehörigen Nachholbedarf, denn es war gerade noch ein Stückchen da.

"Inwiefern?"

"Nun, wenn man dich so grinsen sieht, kann ich nur vermuten, es handelt sich um einen Mangoschock." Er ließ seine Mundwinkel die Ohren besuchen. "Ah, siehst du, ich habs auch schon geschafft. Aber ich muss dich jetzt wirklich verlassen, ich habe noch etwas zu erledigen. Kann ich das letzte Stück noch nehmen?"

Ohne eine Antwort abzuwarten griff er zu und ließ es in seinen Mund wandern. Anschließend klopfte er Severus auf die Schulter.

"Du sorgst bestimmt für Nachschub, richtig?"

Mit einem gezwinkerten Gute Nacht verschwand dieses Konglomerat aus Lila und Weiß.

xxxXXXxxx

Nachdem Dumbledore verschwunden war, wünschte sich Snape, über einen ebenso mächtigen Bart zu verfügen. Den er raufen konnte, wenn es an der Zeit war und hinter dem er ein klitzekleines Grinsen verstecken konnte.

Mit dem Aufrufezauber holte er sich sein Pergament heran und besah sich den angerichteten Schaden. Die ersten beiden Spalten wiesen gähnende Leere auf, dafür hingen bei ‚Grinsen' drei fette Kreuze, seine ‚kulturelle Bildung' hatte ein Kreuz abbekommen. Er vermutete, dass er es dem Kandinsky verdankte.

Aufseufzend rollte er es zusammen. Bei dieser Tätigkeit starrte er auf ihren Platz, den sie sonst im Unterricht einnahm und war sich in diesem Moment hundertprozentig sicher, dass ihre Klassenkameraden nichts von all dem wussten. Es war wiederum Intuition, die jedoch von den mitleidigen Blicken bekräftigt wurde, die ihr zugeworfen wurden.

Zum allerersten Mal, seit sie in Hogwarts aufgetaucht war, schlief er in dieser Nacht entspannt ein. Lediglich von kleinen Gedankenfetzen verfolgt, die sich mit der Fragerei von Albus beschäftigten. Sollte er sich als Inquisitor betätigen, sie auf einen Stuhl fesseln und alle Informationen entlocken?

Glücklicherweise war nur der Mond Gast in seinem Zimmer und konnte sehen, dass ein leichtes Lächeln über sein Gesicht huschte. Die Sache mit dem Fesseln hatte er schon durch.

Denn wenn auch Sev und Snape in ihm miteinander kämpften, nachts herrschte Waffenstillstand. Dieser Zustand wurde zur Gefechtsanalyse genutzt. Sowohl Sev als auch Snape wussten, dass dieses Mädchen über alle inquisitorischen Maßnahmen erhaben war. Sie hatte ihn schließlich so weit gebracht, dass er sie knebeln musste, wollte er nicht mehr ihrem Wasserfall zuhören, aus dem rasch eine niederdonnernde Kaskade wurde.

Und wie erhielt man von einem geknebelten Menschen Informationen? Oh nein, da biss sich die Katze gehörig in den Schwanz.

Wenn der Mond in der Lage wäre, sich zu wundern, würde er das an dieser Stelle bestimmt tun, denn das leichte Lächeln wurde etwas stärker.



Kapitel 13 - Die Beförderung



Seine Entscheidung stand fest. Die begonnene Grübelei vom gestrigen Abend hatte nachts Früchte getragen. Unklar war er sich darüber, wie er ihr das beibringen sollte. Snape konnte und wollte sich einfach zu keiner seiner Standardformulierungen durchringen.

Wie in Merlins Namen sollte er einer solchen Person unauffällig beibringen, dass sie diesen Trank allein fertig stellen konnte? Dieses Rezept hatte er zufällig gefunden und er wusste demzufolge weder, wer es entwickelt, niedergeschrieben oder signiert hatte - all diese Angaben fehlten - geschweige denn, was dieser Trank bewirkte, wenn er einmal fertig gestellt war.

Donnerte er ihr im Unterricht schon Extratränke um die Ohren, konnte sie diesen auch allein brauen. Eigentlich könnte sie permanent daran arbeiten, wenn es nur in den Augen der anderen Schüler nicht so merkwürdig erscheinen würde, wenn sie nicht an ihrem Platz, sondern irgendwo in einem Verschlag an einem Arbeitstisch mit einer relativ komplizierten Versuchsanordnung kämpfte. Nein, unmöglich.

Die Frage, mit welcher Begründung er seinen Entschluss ihr gegenüber vertreten sollte, die stand demzufolge im Raum. Er musste sich nicht nur zwingend etwas einfallen lassen, nein, es musste exzellent und gleichermaßen dezent wirken. Dumm war sie nicht und bis heute hatte sie ihn mehr als einmal durchschaut.

Er notierte gerade die nächsten Arbeitsschritte, als hinter ihm die Tür geräuschvoll aufgerissen wurde. Sein Blick schoss zur Uhr.

"Sie sind zu spät. Das entsetzt mich."

Das Grinsen in ihrem Gesicht verschwand kurzfristig, machte einer zerknirschten Miene Platz und dann salutierte sie und brüllte aus voller Lunge.

"Melde gehorsamst mich zur Stelle, Sir! Ich musste erst aufs Klo, Sir! Weil ich Ihres nicht benutzen darf, Sir!"

Bevor er sie auf jede erdenkliche Weise für diesen Ton rügen konnte, erblickte er wieder das alte Grinsen. Spöttisch hoben sich seine Mundwinkel und er fragte sich, weshalb sie in so respektvoller Entfernung stehen blieb. Dass dieses ‚Sir' nicht ernst gemeint war, wusste er. Das klang viel zu affektiert und zielte wahrscheinlich darauf ab, bei ihm eine Affekthandlung auszulösen.

‚Hawkwing, Hawkwing, wenn du wüsstest...'

Es bereitete es ihm jetzt schon ein diebisches Vergnügen, endlich einmal Paroli bieten zu können. Er hatte es sich wirklich angetan und sich einmal mit einem so genannten Militärstreifen auseinandergesetzt. Betont gelassen sagte er: "Stehen Sie bequem."

"Ja, Sir!"

Merlin, lief sie mit einem ständigen Sonorus durch das Schloss? Bevor er diese Frage zu Ende gedacht hatte, musste er feststellen, dass es vollkommen überflüssig war, sie über die Lippen zu bringen.

Vor seinen Augen fand eine Verwandlung statt, die wohl das Gegenteil eines Pertificus Totalus war. Ihr rechter Arm, dessen Finger an der Schläfe geklebt hatten, wanderte schlagartig auf den Rücken. Der linke hinterher. Doch vor den Armen machte sie nicht Halt. Sie stampfte zusätzlich noch zuerst mit dem linken, dann mit dem rechten Bein auf und... stand da. Aber wie! Dabei grinste sie wie eine Wahnsinnige über das ganze Gesicht.

"Die machen das so. Fragen Sie mich jetzt ja nicht, warum die immer breitbeinig stehen. Das hab ich auch nur gesehen und bemühe mich augenblicklich, das so authentisch wie möglich umzusetzen. Obwohl, ich hab einen Rock an und da wirkt das reichlich obszön, finden Sie nicht?"

Er fand, dass diese Koketterie kaum noch zuzuspitzen war. Aber wie so oft täuschte er sich.

Sie schaute noch eine Weile an sich herunter und registrierte zufrieden, dass er die Augen rollte.

"Sie wissen doch, was obszön ist?"

Er hob den Kopf und brachte sogar ein Snape-Face zustande. Ein kurzes Zucken einer Augenbraue und ein ironisch verkniffener Mundwinkel. Doch rechtzeitig genug fiel ihm ein, dass er genau mit dieser Mimik eine Assoziation mit einem Koordinatensystem hervorgerufen hatte.

"Selbst- ver - ständ - lich, Miss Hawkwing. Ich wollte Ihnen lediglich die Peinlichkeit ersparen, mir erklären zu müssen, was man in Australien darunter versteht. Wenn Sie dazu neigen, in meinem Kerker breitbeinig herumzustehen, dann leben Sie das ruhig aus."

Genüsslich und das Gesicht wie in Stein gehauen ließ er diese Worte sinken. Er hoffte wenigstens, dass sie in ihrem Hirn irgendwohin sanken und sorgte dafür, dass das nicht zu langsam geschah.

"Allerdings würde ich mich über eine fachkundige, detaillierte australische Definition freuen. Man soll doch ständig seinen Horizont erweitern, nicht wahr? Also bitte ich bei Gelegenheit um Erleuchtung. Nehmen Sie sicherheitshalber zehn Fackeln, es könnte lange dauern. Ich bin nicht so schnell."

Abschließend warf er ihr einen sowohl wissenschaftlich-neugierigen als auch spöttischen Blick zu.

Wenn er jetzt sein Grinsen von innen nach außen tragen würde, sähe sie sich unter Garantie Zerberus gegenüber. Ganz bestimmt.

Aniram staunte leichte Bauklötzer. Er war ja direkt ein Witzbold. Fackeln zur Erleuchtung, zehn Stück. Sie blinzelte irritiert. Und davor?

Zum ersten Mal brachte er sie dazu, verschämt die Augen niederzuschlagen und sich wieder ordentlich hinzustellen. Was war da nur mit ihr durchgegangen?

Da keine Reaktion mehr von seinem aufmüpfigen Gegenüber kam, ging er davon aus, sie endlich einmal geschlagen zu haben. Endlich. Mit den eigenen Waffen.

Allerdings lag die Vorstellung, sich ständig so auszudrücken, weit, weit jenseits seines Artikulationshorizonts. Bevor jedoch die nächste Eiszeit anbrach, drehte er sich abrupt um und deutete auf die Anweisung.

"Weitermachen."

Aniram war zwar überrascht, aber keineswegs entsetzt über diesen Sinneswandel. Hoffentlich verstand sie diese indirekte Aufforderung auch richtig, denn von seinem Hüh und Hott hatte sie langsam die Nase voll.

War es wirklich so gedacht, dass sie diesmal vor dem Kessel stehen blieb? Nicht auf die Knie sank, nicht gefesselt wurde, nicht nur zersägte, zermalmte, zerstampfte, abmaß, keine Handlangerarbeiten mehr erledigte? Was natürlich einschloss, dass sie sich auch keinen GIFTIGEN Kandinsky ins Gesicht spritzte. Und so weiter.

Sie wollte nicht fragen, ob sie ihn wirklich fertig brauen sollte. Sie hoffte lediglich, alles richtig verstanden zu haben. Denn manchmal wirkte el maestro so unentschlossen. Und die Sache mit dem Gift brüllte geradezu nach einer Retourkutsche. Überdeutlich nahm sie bereits Form in ihrem Kopf an.

Doch so sehr sie sich mit gewissen und für sie nicht trivialen Randgebieten beschäftigte - im Augenblick war ihr klar, dass keine Macht der Welt, nicht einmal Severus Snape persönlich, sie jetzt noch vom Kessel wegschubsen konnte. Ihre Gegenwehr würde heftig australisch ausfallen.

Beim Studium der Pergamentrolle, deren Schrift so klein war, dass eine Lupe benötigt wurde, entschied sie, in welcher Reihenfolge sie vorgehen würde. Kurzfristig unterbrach sie ihr Summen. Da fehlte doch etwas. Obwohl sie sich hundertprozentig sicher war, nichts vergessen zu haben, bediente sich der Arbeitstisch einer anderen Sprache.

Sie schnalzte unwillig mit der Zunge. Wohl oder übel musste sie sich noch einmal zum Regal begeben. Zu den Regalen. Wenn sie in ihnen nichts fand, musste sie zur Vitrine. Ebenfalls Mehrzahl.

Manche Tränke reagierten allergisch auf ein Alleingelassenwerden, das wusste sie. Wie es mit diesem hier aussah, wusste sie nicht. Er konnte überschwappen, überbrodeln oder auch im schlimmsten Fall explodieren.

Nur kurz pendelte ihr Blick zwischen Regal und Kessel. Dann richtete sie den Zauberstab auf den Kessel, sprach den Trägheitstrank und auf dem Weg zum Regal begann sie zu deklamieren.

"Festgemauert in der Erden, steht die Form aus Lehm gebrannt, heute muss die Glocke werden..."

Regal rauf, Regal runter, Vitrine auf, Vitrine zu. Als sie endlich gefunden hatte, wonach sie suchte, sank sie unerwartet auf die Knie und rief aus unerfindlichen Gründen:

"Ophelia, ich komme!!"

Hatte sich Professor Snape über das begonnene Gedicht bereits aufgeregt, erschrak er jetzt bis auf die Knochen. Mit dem merkwürdigen Geräusch des Keuchens wurde die vor ihm liegende Hausaufgabe mit mehreren Federstrichen verunstaltet.

Dieses Gesumme, Gesinge und Geschrei hielt doch kein Mensch aus!

"Hawkwing", donnerte er durch den Kerker, "können Sie nicht ein einziges Mal ruhig sein? Wie soll man da konzentriert arbeiten?"

Aniram verdrehte sich wie ein Fragezeichen.

"Meine Güte, was sind wir heute geschmeidig."

Er schnappte nach Luft und wollte antworten, aber wie so oft kam er nicht dazu, denn sie "erklärte" weiter, als wäre er Luft.

"DAS IST meine Form der Konzentration. Ich muss ehrlich sagen, wenn ich das nicht mehr habe, weiß ich, es ist zu spät. Lassen Sie sich doch nicht von solchen Kleinigkeiten stören und kreuzen Sie. Außerdem sind Sie selber nicht gerade leise."

"Kh... kreuzen?"

Sie wedelte ungeduldig mit einer Hand in der Luft herum, während sie die Zutat mit nur einer Hand abmaß.

"Natürlich nicht vor dem Wind, sondern in meiner Tabelle."

Ihre Satisfaktion wuchs ins Grenzenlose, als sie ein Stöhnen hinter sich vernahm. Wunderbar! Ihr Gesicht verzog sich zu einem mörderischen Grinsen und sie musste sich beherrschen, ein lautes Lachen zu unterdrücken.

Doch urplötzlich wurde sie von einem schwarzen, sich bewegenden Schatten aufgeschreckt.

Snape war aufgestanden und hatte sich an sie herangeschlichen. Auf sein Bauchgefühl konnte er sich immer verlassen, so wie jetzt auch. Hatte er doch recht gehabt! Sie grinste nicht nur, sie lachte sich ins Fäustchen. Diese Faust war so groß, dass sie ohne Schwierigkeiten Thors Hammer halten konnte.

Seine Stimme klirrte frostig, als er neben ihr stand.

"Darf ich an Ihrer Freude teilhaben oder genießen Sie grundsätzlich allein?"

Die Zutat in den Kessel zu werfen und laut Anweisung dreimal entgegen dem Uhrzeigersinn mit dem Löffel zu rühren war erst einmal alles als Antwort. Zweimal schon hatte er sie erwischt. Beide Male an einem Abend.

"Na ja, eigentlich nicht allein. Das heißt, ich möchte Sie schon gern daran teilhaben lassen, bin mir aber sehr unsicher, ob Ihnen diese Form der Freude so richtig gefallen wird."

Aufmerksam sah sie dem Löffel hinterher, als gäbe es nichts Interessanteres in näherer Umgebung.

"Die Entscheidung müssen Sie schon mir überlassen, was mir zusagt und was nicht."

Mit verschränkten Armen und selbstgefällig betrachtete er ihr Rühren.

"Ja, ja, eben deshalb. Man könnte sagen, es ist eine...", sie kam kurz ins Stocken, "nun ja, ich nehm sie hopp. Sie sehen so herrlich aus auf dem Weg zur höchsten Wut, wissen Sie das? Ich begleite Sie liebend gern dorthin."

In Gedanken führte sie diesen Satz weiter: Denn ich will doch endlich mal das Resultat meiner Bemühungen sehen, alter Eisblock.

Kokett zog sie den Löffel aus dem Trank, ließ ihn kurz baumeln und piekte ihn dann in die Seite.

Snape war sprachlos. Seit wann piekste ihn jemand mit einem Löffel? Hopp nehmen? Nun, das konnte er auch, wenn es drauf ankam.

"Das Kompliment gebe ich in gleichem Maße zurück, Miss Hawkwing. Wenn Sie einen Dämon beschwören, kommt man in Versuchung, Ihren Tobsuchtsanfall entsprechend anzubeten und vor allem", er deutete eine leichte Verbeugung an, "noch mehr zu forcieren. Leider kam ich bei dieser Gelegenheit nur in den Genuss, Ihren Rücken zu betrachten."

Aniram ließ den Löffel der Schwerkraft gehorchen und griff nach ihrem Zauberstab, den sie über die Schulter hielt. Das Snape-Pergament rollte sich schon freiwillig auf. Wenn sie nicht alles täuschte, war da eben ein Grinsen zu erkennen gewesen. Oh, er sollte unter DIESEN Kreuzen zusammenbrechen!

"Ich hoffe, Sie fanden ihn entzückend."

Dass er sich jemals zu einer solchen Entgegnung hinreißen lassen würde, machte sie für Bruchteile von Sekunden sprachlos. Wobei sie glaubte, dass diese Antwort wohl alles an Kreativität ausschöpfte, über die er verfügte.

Sie überlegte ernsthaft, ob es sich dabei um von ihr beigebrachte Komik handelte oder um etwas, über das er durchaus in den Tiefen seines Seins verfügte und in den letzten Wochen verborgen hatte.

Vielleicht war seine Persönlichkeit doch nicht ganz so staubtrocken, wie anfangs von ihr befürchtet. Hielt sie sich allerdings die Mühe vor Augen, die sie bis hierher aufgebracht hatte, handelte es sich keinesfalls ein gesundes Preis-Leistungs-Verhältnis.

Scheinbar ahnte er, was jetzt kommen sollte, denn zum ersten Mal bekam Aniram seine Reflexe zu spüren. So schnell wie nie hatte er ihren Zauberstab mit seinem nach unten geschlagen.

"Das war kein Grinsen, Miss Hawkwing, sondern lediglich ein leichtes Zucken meiner Mundwinkel. Und Ihr Rücken, oh, jederzeit wieder."

"Nun", meinte sie gedehnt, "dann sollten wir vielleicht noch eine Mundwinkelzuckspalte einrichten, meinen Sie nicht auch? Im Übrigen war das eine hervorragend ausgeführte Septime."

Knurrend hob er seinen Zauberstab und hielt ihn drohend vor ihr Gesicht.

"Mein Kerker ist keine Planche, Miss Hawkwing."

Aniram grinste, bückte sich und hob den Löffel auf, den sie wieder sorgfältig auf dem Tisch ablegte. Ein Blick in das Pergament sagte ihr, dass der Trank nach dem Umrühren noch zehn Minuten vor sich hin köcheln musste.

"Sag niemals nie. Erliegen Sie so schnell dem DESillusionszauber?"

Die Vorsilbe betonte sie besonders. Dann führte sie ihren Zauberstab unter ihrer Nase entlang, als wäre es die teuerste Zigarre der Welt - und seufzte verträumt.

"Waren das noch Zeiten."

Er versuchte, so unbeteiligt wie möglich zu klingen. Er schnalzte mit der Zunge.

"Tatsächlich? Ich wusste nicht, dass Sie dermaßen nostalgisch veranlagt sind."

"Oh, eigentlich bin ich das auch nicht. Nur manchmal, wenn es mich eben überrennt."

Dann warf sie ihm einen sehnsüchtigen Blick zu.

"Keine Planche? Kein bisschen Spaß? Sie sind aber auch ein stures Kerlchen. Konservativ von den Haaren", sie warf einen bedeutungsvollen Blick in diese Richtung, "bis zu den Zehen und ja nicht vom Pfad abweichend."

Mit dem Zauberstab klopfte sie ihm an den Oberarm.

"Ich glaube, ich weiß, warum Ihre Umhänge schwarz sind."

Damit brach sie in beinahe vorprogrammiertes Lachen aus.

Er fuhr wie mit einem scharfen Messer dazwischen.

"Es ist einfach unerhört, was Sie sich leisten. Nicht genug damit, dass Sie in meinem Kerker singen, summen und rezitieren, wonach Ihnen gerade der Sinn steht. Aber ich verwahre mich dagegen, dass mich jemand mit Löffeln piekst oder mit Zauberstäben abklopft. Was soll das?"

Dennoch bemerkte er, dass es ein Ding der Unmöglichkeit geworden war, so zu reagieren wie üblich. Wütend, mit Punktabzug, zynisch und das Gegenüber hoffnungslos degradierend. Es GING nicht. Denn alles, was er hervorbrachte, hörte sich ziemlich australisch gefärbt an.

Trocken wie nie spie er aus: "Ich fände es regelrecht pervers, in australischer Tracht herumzulaufen."

"Das wäre doch aber mal was anderes, oder? Sie mit Ihrem Einerlei, brrrr."

Um ihre Worte zu bekräftigen, schüttelte sie sich gleichzeitig und fuhr fort.

"Haare schwarz, Augen schwarz, Klamotten schwarz, pah, wenn Ihr weißes Gesicht nicht dazwischen wäre, Sie würden glatt als Freizeit-Aborigine durchgehen. Deshalb hat es schon seinen gewissen Reiz, wenn ich mir Sie sandfarben vorstelle. Natürlich auch die Haare, sonst fallen Sie immer und überall auf."

Sie wollte nicht schon wieder laut loslachen, deshalb schnaubte sie. Snape und ein Mix zwischen aschblond und braun auf dem Kopf. Funkelnd schaute sie ihn an und legte alles in ihre Vorstellungskraft, um dieses Schwarz von da oben zu verbannen.

Ein Zusammenziehen seiner Augen, ein Stirnrunzeln und ein scharfer Blick waren der einzige Kommentar.

Dann hörte sie es auch schon und im Gegensatz zu ihm riss sie die Augen auf. Der Trank! Die zehn Minuten waren um. Sie knirschte mit den Zähnen, so sehr ärgerte sie sich. Wie konnte sie sich nur dermaßen ablenken lassen? Aber ein aschblonder Snape in einem sandfarbenen Umhang hatte schon was für sich.

Weiter als es notwendig wäre beugte sie sich über den Kessel, um mit der Pipette drei Tropfen Bilsenkrautextrakt zuzufügen.

"Kochen Sie zu Hause Ihre Haare immer mit?"

Für Snapes Begriffe hing sie ein Stückchen zu nahe an der Flamme und im Kessel. In ihrer augenblicklichen Position fehlte in seinen Augen nicht mehr viel und sie fing wirklich Feuer. Sein Grinsen und Mundwinkelzucken verlegte er mit Macht nach innen, ansonsten würden in den falschen Spalten massenhaft Kreuze zu finden sein.

"Nein, nein, ich bin nur sehr gründlich und schaue den Tropfen hinterher, damit sie auch ja im Kessel landen."

‚Mein Gott, bist du blöd.'

Aniram sah ein, dass das eben selten dämlich gewesen war. Wenn sie ihn aufziehen wollte, dann doch bitte intelligent und nicht so... so...

Seufzend nahm sie wieder vom Kessel Abstand und steckte ihre Nase ins Pergament. Wieder zehn Minuten warten. Heute Abend war das ja der reinste Stress.

Ihr war aber auch klar, dass sie sich kein zweites Mal eine Ablenkung leisten konnte. Unter Garantie hieß es dann hasta la vista, baby und sie durfte wieder nur die Zutaten heranschaffen und zerkleinern oder was auch immer. Jedenfalls das, was sie in den vergangenen Wochen hatte erledigen dürfen.

"Und", peitschte es an ihr Ohr, "sind die Tropfen im Kessel?"

Sie nickte langsam und konnte nicht verhindern, dass sie eine Spur zu auffällig zusammenzuckte.

Snape schenkte dem keine Beachtung, auch wenn es ihm eine gewisse Genugtuung bereitete, sondern kam noch etwas näher heran und beugte sich ebenfalls über den Kessel.

"Und WO sind sie?"

Was sollte das? Über alle Maßen irritiert beließ es Aniram bei einem Mund auf, Mund zu. Sie sah bestimmt aus wie ein Fisch, der sich über neues Futter im Aquarium freute. In einem Kessel drei Tropfen auszumachen...

Mit dem Zeigefinger deutete sie geradeaus, obwohl sie ihm in die Augen sah. "Da."

Er lächelte nachsichtig. "Dann würde ich Ihnen empfehlen, auf der Stelle mit der Bearbeitung fortzufahren, damit der Trank die Farbe und Konsistenz hat wie im Rezept ausgewiesen. Sonst war das das erste und letzte Mal, dass Sie allein an einem Trank arbeiten, habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?"

JETZT war er wirklich geschmeidig, das hörte sogar Aniram, der Europa-Neuling, heraus. Deshalb brummelte sie nur etwas in ihren nicht vorhandenen Bart und nickte vorsichtshalber. Anschließend galt ihre gesamte Aufmerksamkeit wieder dem Rezept.

Obwohl sie gerade erst genickt hatte, schüttelte sie genauso schnell den Kopf, verglich die Anweisung mit dem, das vor ihr blubberte und konnte keinen Unterschied feststellen.

Dieser alte Nörgler suchte immer etwas. Er brachte es einfach nicht fertig, fünf Minuten durchgehend witzig zu sein. Aber bitte, ganz wie er wollte - sie folgte seinem Befehl.

"Brumm, brumm, brumm."

"Was ist das nun wieder? Eine australische Art der Bearbeitung?" Jetzt klang er wirklich gereizt.

"Aber nicht doch", sie schickte einen unschuldigen Augenaufschlag in seine Richtung, "ich halte mich an Ihre Befehle und fahre fort. Brumm, brumm."

Er ließ ein wölfisches Knurren hören. "Sie müssen ja mit diesem Krawall ziemlich auffallen. Wir in Europa legen Wert auf Lautlosigkeit."

Als er ihren verständnislosen Blick sah, wusste er nicht, dass er ihn wieder einmal völlig falsch interpretierte und ließ sich zu einer Erklärung herab.

"Sie fliegen sicherlich sehr alte, ausgediente Modelle. Wobei ich mir nicht sicher bin, wer mir mehr an dieser Stelle mehr leid tun sollte, die Person oder der Besen."

Zu seiner Überraschung schaute sie erst leicht konsterniert aufs Pergament und kicherte dann los. Ungewollte Komik war immer noch die beste. Er schien ein Meister darin zu sein. Als sie sich auf dem Tisch abstützte und vor Lachen den Bauch hielt, war es an ihm, schockiert zu sein. Dieser Schock traf ihn allerdings erst, nachdem sie ihm wie der beste Kumpel gönnerhaft auf die Schulter geklopft hatte.

"Besen? Wir fliegen Teppiche, mein Lieber. Besen!! Oh nein." Sie lachte erneut. "Herrje, meinen getunten "Dschingis Turbo 5000" müssten Sie kennen, dann würden Sie Ihre Besen hier wieder in den Wald pflanzen."

Er sog so laut und zischend die Luft durch die Zähne und verlieh seinem Gesichtsausdruck genügend Starre und Sarkasmus, um… ja, um was? Er griff zu seinem letzten Wundermittel, das normalerweise IMMER wirkte. Er schrie.

"Was interessiert mich Ihr Teppich? Da laufe ich höchstens drüber!! Und ich bin auch nicht Ihr Lieber! Unerhört! Unverschämt! Unmöglich! Un... alles!!!"

Un-gerührt fügte Aniram dem Trank fünfzig Gran zerstoßenen Drachenzahn hinzu. Denn die Abarbeitung des Rezepts hatte oberste Priorität. Erst als das geschehen war, fand sie Zeit, sich um ihr tobendes, fauchendes, schreiendes Nebenan zu kümmern.

War es wirklich erst wenige Minuten her, dass sie ihm gesagt hatte, er sei weiß? Zumindest im Gesicht? Dieses Weiß hatte sich in ein auffälliges Hochrot verwandelt. Zusätzlich sah er aus, als ob sämtlicher Dampf über die Ohren entweichen wollte. Nur ein passender Vergleich fiel ihr dazu ein - ein Hochdruckkessel kurz vor der Explosion.

Es gab aber auch Niederdruckkessel und bevor sie sich selbst die Entscheidung schwer machte, vor was sie nun eigentlich stand, rief sie mit dem Aufrufezauber sein Pergament herbei. Schnell rollte sie es auseinander.

"Ich glaube, wir sollten das Format ändern. Wenn das so weitergeht, fehlt uns für sämtliche Erweiterungen der Platz. Es sei denn, wir machen es ganz kompliziert und benutzen auch noch die Rückseite. Aber das wird bestimmt unheimlich anstrengend. Hm. Aber egal."

Mit ihrem Zauberstab drängte sie die bisherigen Spalten noch ein bisschen zusammen und fügte eine neue hinzu. Als das geschehen war, drückte sie ihm die Feder in die Hand und das Schriftstück unter die Nase.

Fassungslos hatte Snape zugeschaut, wie sie seinen Wutausbruch zur Kenntnis nahm. Kenntnis. Kenntnis nehmen, das war aber auch alles. Erschrecken konnte er sie nicht mehr, das war ihm mittlerweile klar geworden.

Jetzt hielt ihm diese Gestalt gewordene Provokation seine "Akte X" unter die Nase.

Aufgeklärt hatte sie ihn über diesen sehr eigenwilligen Namen erst am heutigen Abend. Ansonsten würde er wohl noch jahrelang davon ausgehen, dass es sich bei X-Akten um Pergamente handelte, in denen lustig und fröhlich herumgekreuzt wurde.

Sein Blick saugte sich regelrecht an der neuen Spalte fest. Er musste mehrmals blinzeln, um die Überschrift zu entziffern.

Eine Mischung aus Unglauben und Entsetzen lag in seinen Augen, die zwischen ihr und seiner Akte hin und her pendelten.

Aber die Überschrift änderte sich nicht. Beinahe kraftlos ließ er die Schultern sinken.



Kapitel 14 - Tor Nr. 2 und… Abseits!



ICH BRING DICH UM!

Diese und keine anderen Worte leuchteten ihm entgegen. Er kniff die Lippen zusammen.

"Meine Hochachtung, sieht man das so deutlich?"

Ganz nahe brachte er sein Gesicht an ihres und schaute über den Rand des Pergaments. Er war immer noch fassungslos und schwankte zwischen Frust und Wut. Wenn er nicht wüsste, dass sie eingeschlossen und gut versteckt waren, würde man dem Glauben anheim fallen, sie könnte Gedanken lesen.

"Oh ja", flüsterte sie zurück, "überdeutlich. Fast so, als hätten Sie es gesagt."

Aniram beließ es bei einem zaghaften Nicken, obwohl sie ihrer Begeisterung viel offener Ausdruck verleihen wollte.

Snape schnaubte. "Was macht ein Gentleman, der das Gefühl hat, soeben geschlagen worden zu sein?"

‚Ausgepeitscht ist wohl besser, ich lasse hier Nerven ohne Ende und dieses… diese…'

"Ich weiß es nicht. Wirklich." Sie wedelte mit seiner X-Akte unter seiner Nase herum.

"Zwei zu Null für Sie." Er deutete eine leichte Verbeugung an.

"Was - Sie wollen kein Kreuz machen?"

Ihre hellen Augen wurden immer größer und schienen zu lachen. Nicht einmal der kleinste Hauch von Enttäuschung schwang in ihrer Stimme mit. Es war lediglich eine Feststellung. Seine Akte beförderte sie wieder auf den Schreibtisch.

"Respekt, Professor, das bringen nicht viele fertig, über ihren eigenen Schatten zu springen. Aber ich muss jetzt weitermachen, sonst hängen wir in einem halben Jahr noch über diesem Trank."

Snape nickte knapp und ging federnden Schrittes zurück zu seinem Tisch - ausnahmsweise einmal froh, mit keinem Gegenstand abgeklopft zu werden. Dieses Mädchen hatte Ideen! Mit den letzten Worten hatte sie sich wirklich elegant aus der Affäre gezogen.

Wie so oft verfiel er in Grübelei. Spürte, ahnte oder roch sie, dass er soeben über seinen eigenen Schatten gesprungen war? Er unterstellte es ihr kurzerhand, weil sie ihn sonst nicht mit diesem Worträtsel, welches für ihn keins war, zurückgelassen hätte. Erst nach einer Weile kroch die Tatsache, dass sie ihn Professor genannt hatte, an die Oberfläche.

Bis heute weigerte sie sich konstant, ihn so zu nennen. Warum ausgerechnet jetzt? Seine Blicke bohrten sich Dolchen gleich in ihren Rücken. Unwillkürlich beschäftigte ihn der Gedanke, ob sie wohl auch mit Kategorien arbeitete, mit Schubladen.

Er machte keinen Hehl daraus - mittlerweile interessierte ihn alles, was sie betraf. Sogar brennend. In diesem Fall also würde er wirklich gern wissen wollen, wie und wonach sie einen Menschen einstufte und ab welchem Zeitpunkt sie sich zu einer respektvollen Anrede hinreißen ließ.

Die, wenn der Unterton ihn nicht täuschte, ehrlich gemeint war.

Dennoch, die Hausaufgaben warteten nicht.

Mit einem innerlichen Seufzen rollte er das nächste Pergament auf. Seine Augen wurden groß, als er seine Akte erkannte. Kurz schaute er auf und vergewisserte sich, dass sie nicht hersah. Dann senkte sich sein Blick wieder und er liebkoste beinahe diese vier Worte.

Um seine Mundwinkel begann es zu zucken. Ob er jemals so in Rage kam - mehr als in den vergangenen Wochen - dass er dort ein Kreuz machte? Falls dies der Fall sein sollte, dann würde sie etliche Tode sterben müssen.

Mit einer Hand fuhr er sich über das Gesicht, als könne er sein Verhalten zwei Menschen gegenüber in letzter Zeit, von denen einer vollkommen fremd und unerklärbar schien, abstreifen. Natürlich war das nicht so einfach zu bewerkstelligen. Er hatte wohl nicht mit der Sturheit seiner Haut gerechnet. Denn kaum hatte er sie losgelassen, fing das Spiel von neuem an.

Er konnte es drehen und wenden, wie er wollte. Etliche schlaflose Nächte und etliche Gläser Rotwein konnten ihn nicht dazu bringen, sich ihr gegenüber wie ein Gefrierschrank zu verhalten. Es erschien ihm unmöglich.

Jedes Mal war er zu dem Resultat gelangt, dass er ihre Anwesenheit genoss, sich nach ihren Sticheleien sehnte. Es waren nackte Fakten, die er analysierte und Verhaltensweisen, die er von keinem anderen duldete.

Sie war so impulsiv, sie war ehrlich und natürlich. Ihm gegenüber benahm sie sich wie nie jemand zuvor. Sie sagte, was ihr gerade auf der Zunge lag, ohne auch nur im Geringsten daran zu denken, vor wem sie stand und welche Konsequenzen ihre Fragen oder ihr Verhalten haben würden. Sie sorgte für Abwechslung und es würde ihn nicht im Mindesten wundern, wenn sie eines Tages mit einem munteren "Salve" in den Kerker gestürzt kam.

Mit anderen Worten: sie trug so viel Freude, Frohsinn und Wärme in sich, dass er beinahe Angst um sein Image hatte.

Seine Mundwinkel zuckten ein bisschen mehr, als er dieses Resümee zog. Sein Blick konnte sich noch immer nicht von der letzten Spalte lösen.

Wenn er ihren Starrsinn, ihre Respektlosigkeit, ihren nicht zu verleugnenden hohen Kenntnisstand, ihre Leidenschaft für die Zaubertrankbrauerei, die Tatsache, dass sie ihn einfach als normalen Menschen behandelte, der zufälligerweise Lehrer war - wenn man das alles in einen Topf warf und kräftig umrührte, erhielt man eine Essenz von der ein Mensch jahrelang zehren konnte. Das Elixier des Lebens.

Er wusste, schon allein der Gedanke daran, dass es ihm behagte, dass sie ihm gegenüber menschlich auftrat, war regelrecht ketzerisch und widersprach den Gesetzen.

Doch woher zum Henker hatte sie gewusst, was vorhin in ihm vorgegangen war? Er warf in diesen Topf noch ein bisschen Intuition, über die sie zweifelsohne verfügte, und konstatierte eine beinahe erschreckende Affinität.

"Darf ich an Ihrer Freude teilhaben oder grinsen Sie immer allein?"

Er wurde aufgeschreckt wie ein Kaninchen.

Pikiert gab er zurück: "Ich habe gegrinst? Sicherlich in Ihrer Einbildung."

"Sicher, ganz sicher, was glauben Sie, wie eingebildet ich bin."

Ungefragt, eben völlig uneuropäisch, setzte sie sich auf seinen Schreibtisch und stützte sich mit dem Ellenbogen fast vor ihm ab. Ihr Blick fiel auf das, was er in der Hand hielt und schlagartig erhellte sich ihr Gesicht.

"Ah, wusste ich es doch! Von wegen Zwei zu Null! Sie grübeln jetzt unter Garantie, wie viele Kreuze Sie DA machen. Oder ob sie eins machen."

Kritisch fasste sie ihn ins Auge, griff unter sein Kinn und zwang seinen Kopf herum.

"Und WIE ich sterben soll, was? Aber lassen Sie sich gesagt sein, Australier sind zäh. Das sind richtige Stehaufmännchen."

Sie drohte mit dem Zeigefinger, hüpfte mit einem Lachen vom Tisch und rannte schnell wieder zum Versuch.

‚Schau an, schau an, der Meister hockt hinter dem Tisch und grinst. Er denkt wohl, ich habe keine Augen im Hinterkopf. Hah, Australier haben überall Augen.'

Frohgemut machte sie sich wieder an die Arbeit. Gewarnt von seinem vorherigen schnellen und unerwarteten Auftauchen unterließ sie es diesmal, öffentlich zu feixen.

Über die verschiedenen Todesarten, die Professor Snape bevorzugen könnte, musste sie sich unbedingt mit Magdalena der Mimosenhaften unterhalten. Schließlich hing sie der Kerkertür am nächsten. Ihre Freunde da draußen, die sie wirklich nach diesen Wochen als Freunde bezeichnen konnte, hatten ihr schon manchmal den einen oder anderen heißen Tipp gegeben.

Mit den Fingern fuhr sie sich unter den Kragen ihrer Bluse. Hatte er es wieder mal mit der Heizung übertrieben? Aniram begann zu schwitzen und kurz setzte ihr Herz aus.

Immer noch geschockt von diesem unerwarteten Besuch auf seinem Schreibtisch, der eine gewisse Erinnerung wieder ans Tageslicht holte, kam er nicht einmal zu einer Antwort. Mit einem Satz, der mit "Äh" begann, wollte er nicht antworten. Sein Artikulationshorizont war eindeutig weiter gesteckt. Also ließ er sie lachen und hüpfen.

Seufzend legte er seine Akte ins Regal und widmete sich den richtigen Hausaufgaben. Er genoss die plötzliche Stille.

‚Was heißt hier genießen, dir fehlt doch was.'

Fragend hob er seinen Kopf. Miss Hawkwing und still? Das war so unvereinbar wie Feuer und Wasser, Pech und Schwefel oder Schwarz und Weiß.

Ohne weitere Überlegung schoss er wie der Blitz um seinen Schreibtisch herum. Hatte er die Zeit verpasst? Beinahe panisch fiel sein auf die Uhr, die ihm diesmal nicht gesagt hatte, dass er ihren Aufenthalt beenden sollte.

Er kam gerade rechtzeitig genug neben ihr an, um sie aufzufangen. Erschrecken machte sich in ihm breit, als er dieses schlotternde Bündel hielt und ansah.

Ihr Atem ging röchelnd und die Augen waren vor Entsetzen geweitet. Unmöglich konnten das dieselben Augen sein, die ihn vor wenigen Minuten aufforderten, in einer gewissen Spalte ein Kreuz zu machen. An ihre Stelle waren in zwei seelenlose, angstzerfressene Tunnel getreten. Diesmal hielt er sie in den Armen und war sich absolut sicher, dass sie zitterte. Seine Vermutung bestätigte sich damit.

"Aniram, sshh… Quatsch nicht, du blöder Dussel."

Sie würgte und stöhnte. Die Angst, die im Kopf begonnen hatte zu arbeiten, breitete sich fächerartig über ihren ganzen Körper aus und ließ sie zittern wie Espenlaub. Sie wollte etwas sagen, brachte jedoch nichts über die Lippen.

Hilflos und unfähig, sich zu bewegen, hing sie im Irgendwo herum und wusste, es war zu spät. Wie ein großes, dunkles Tier sprang die Panik sie an und kratzte ihr die Augen aus. Sie würde sterben.

Snape tat wohl das Unorthodoxeste, das er je in seinem Leben getan hatte. Ohne weitere Überlegung nahm er sie auf seine Arme, griff nach seinem Zauberstab und donnerte einen Öffnungszauber gegen die Tür, der nicht einmal die Buchstaben von "Alohomora" enthielt und trat die Tür auf.

Er dankte Merlin für seine langen Beine und rannte durch den Gang, als wäre der Teufel samt seiner Verwandtschaft hinter ihm her.

Die Gemälde, die sich auf einen kleinen verbalen Schlagabtausch mit der mittlerweile lustigen Besucherin freuten, froren regelrecht ein. Dann kam von einer Sekunde auf die andere Bewegung in alle gleichzeitig und sie begleiteten ihn durch den gesamten Kerkergang.

Irgendwann mussten die ersten zurückbleiben und riefen ihm unaufhörlich Fragen zu. Die Gemälde am Kerkerausgang rechneten sich immer noch die größten Chancen aus, eine handfeste Information in die Hand oder besser gesagt in den Rahmen zu bekommen.

Aber ein heiser gebelltes "Haltet die Klappe!" war alles.

Weniger die Tatsache, diesen Satz noch einmal hören zu müssen, verwirrte sie vollends. Dass er jemals aus der Richtung ihres selbsternannten Vorgesetzten, des Zaubertrankmeisters, kam, war ihnen absolut unerklärlich und so schlichen sie wieder zurück.

Professor Snape war in der Eingangshalle angelangt und stieß mit dem Fuß das Portal auf. Ins Freie stürmen genügte ihm selbst nicht. Also lief er noch weiter. Er wurde von dem Gefühl getrieben, dass ihr der Aufenthalt auf der Schlosstreppe bei Weiten nicht genügen würde.

Er lief so weit, bis er der Annahme war, den besten Platz gefunden zu haben. Zumindest war sie aus dem Schatten des Schlosses heraus. Er wusste, das war absolut irreal, nachts schien keine Sonne - aber wenn sie scheinen würde, dann würde Hogwarts keinen Schatten über sie werfen.

Die Wiese war groß genug und bald hatte er einen weit ausladenden Baum ausgemacht, unter dem er sie ablegte. Damit sie nicht fror, zog er seinen Umhang aus und wickelte sie hinein, schließlich war kein Hochsommer mehr

Erst jetzt, als er sie in Sicherheit wähnte, gestattete er seinen Gedanken zu arbeiten. So wie er neben ihr kniete kam er sich reichlich deplaziert vor. Am liebsten wäre es ihm, wenn er sich unauffällig zurückziehen konnte. Aber er konnte jetzt nicht einfach so gehen und sie allein lassen.

Doch dann schlug sein Alarmsystem an. Was, wenn sie Hilfe benötigte, sobald sie die Augen wieder öffnete? Er nahm an, dass sie von allein aus diesem merkwürdigen Krampfanfall oder was immer das war erwachte. Es lag aber durchaus im Bereich des Möglichen, dass sie zum Laufen zu schwach war.

Dann lag sie hier, niemand wusste davon, und erfror womöglich, während alle in ihren warmen Betten lagen. Obwohl er nichts tun konnte, entschied er sich fürs Warten.

Aufmerksam lauschte er auf ihren Atem, der nur langsam gleichmäßiger wurde.

"Sterne", hörte er es auf einmal neben sich flüstern. Natürlich hatte er sie nicht irgendwo in der freien Wildnis ins Gras gelegt. Er schüttelte mit dem Kopf, denn so schwach sie auch war, ihrer Beharrlichkeit tat das keinen Abbruch.

"Sterne."

Es war nur ein Hauchen, mehr nicht. Sorgsam hob er sie auf und trug sie ein Stückchen weiter weg.

In diesem selten unwirklichen Moment wurde ihm klar, wenn sie gesagt hätte, sie müsste den Mond in ihren Händen halten, er hätte ihn vom Himmel geholt. Sanft legte er sie ins Gras, kniete sich daneben und wartete, was weiter geschah. Das nächste traf ihn wie ein Peitschenhieb.

"Joaquin, wenn ich dich nicht hätte."

Er wollte davon stürzen, wollte nicht wissen, für wen sie ihn womöglich hielt. Zu seinem Erstaunen, ja sogar zu seinem Entsetzen tat es weh.

Nach mehreren tiefen Atemzügen, die befreiter klangen, öffnete sie ihre Augen und neigte ihren Kopf nach links.

"Man kann ihn fast sehen, meinen Stern. Weißt du, wie sehr ich ihn vermisse?"

Sie befreite sich aus seinem Umhang und ohne hinzuschauen schob sie ihre kleine Hand vertrauensvoll in seine. Nachdem sie sich einige widerspenstige Locken aus der Stirn gestrichen hatte, erstarrte sie.

Hier stimmte etwas nicht. Die Konstellation! Wo war sie gelandet? Sie furchte die Stirn und schaute ihn an.

Aniram brauchte einige Lidschläge, um sich zu erinnern. Sie spürte, dass er seine Hand zurückziehen wollte und hielt ihn mit unglaublicher Kraft fest. Und ohne die Hand loszulassen bedankte sie sich.

"Ich sag's doch", murmelte sie heiser, "wenn Sie nicht grade Schwarz bevorzugen würden, Sie hätten den Touch eines Engels."

Sie stemmte sich hoch und blieb noch einige Sekunden sitzen, um ihr inneres Gleichgewicht wiederzufinden. Sie hoffte sehr für sich selbst und ihn, dass sie ihm Nebel nicht zuviel von sich gegeben hatte. Unsicher schaute sie ihn an.

In seinem Gesicht spiegelte sich ein Mix von Trauer, Enttäuschung und Verständnislosigkeit. Schlaff wie ein Mehlsack plumpste sie gegen seine Brust.

"Sorry, bin sonst nicht so anhänglich."

Wenn ihm dieser Augenblick nicht so unendlich traurig erschienen wäre, dann hätte er lauthals über diesen Satz gelacht. Schlicht und einfach deshalb, weil Hawkwing wieder nach Hawkwing klang. Er spürte, ihre Kraft reichte beileibe noch nicht aus, um sich aufrecht zu halten.

Also blieb ihm nichts anderes übrig, als sie hölzern und unbeholfen in die Arme zu nehmen. Er war der felsenfesten Überzeugung, dass jeder Besen mehr Eleganz bei dieser Tätigkeit aufbringen würde.

Aniram lag an seiner Brust und lauschte.

*babumm, babumm, babumm*

Sein Herz schlug regelmäßig und stark. Das verlieh ihr Kraft. Sie leckte sich über die trockenen Lippen und hauchte: "Und jetzt hab ich Durst. Echt."

Mit großen Glubschaugen schaute sie ihn an. "Gibt's in Europa was zu trinken?"

Dass sie so schnell wieder in die Realität zurückfand, verwirrte ihn und ließ ihn sprachlos zurück. Er hatte immer noch damit zu tun, dieses Geschehnis entsprechend zu verarbeiten.

"Wir können einen Deal machen", meinte er gedehnt. "Dann zeige ich Ihnen, wo es was zu trinken gibt."

"Jeden, jeden, nur bald."

"Können wir heute auf ein Kreuz beim Grinsen verzichten?"

Angestrengt stupste sie ihren Zeigefinger an die Schläfe, um dann enttäuscht den Kopf zu schütteln.

"Ich könnte mich nicht erinnern, heute etwas Derartiges gesehen zu haben."

Er legte den Kopf schief und betrachtete sie aufmerksam. "Können Sie laufen?"

"Hmhm, kann ich schon."

Erst jetzt nahm sie wahr, dass sie so etwas wie eine Figur vor sich sah. Körperumrisse. Ungläubig strich sie über den rauen Stoff seines Gehrocks.

"Wo ist denn Ihr Umhang?"

"Sie sitzen gerade darauf. Wenn ich um mein Eigentum bitten dürfte?"

Erinnerungsfetzen rissen auf und sie schloss die Augen. Dieselbe Situation, dieselbe Frage, dieselbe Antwort… nur in einer anderen Welt. Es war so realistisch, dass sie erschauerte. Bevor sie sich hoch mühen konnte, wurde sie noch einmal gebremst.

"Was war das eigentlich? Da unten?"

Diesem Vorfall einen Namen zu geben sah er sich außerstande. Wenn jemand Licht in das Dunkel bringen konnte, dann war das die vor ihm sitzende Person. Er MUSSTE es wissen. Er musste wissen, ob er bis heute mit seinen Vermutungen richtig gelegen hatte.

Aniram zuckte hilflos mit den Schultern und wagte einen zaghaften Blick zum Schloss.

"Die Mauern", sagte sie beinahe tonlos, "die Mauern machen mich fertig. Wir… wir haben keine zu Hause. Jedenfalls nicht solche. Eine Zeitlang geht es, aber dann muss ich raus, sonst…" Sie unterbrach sich kurz.

"Sie haben das geahnt, nicht wahr? Denn immer, wenn es darum ging, mich zu entlassen, legten Sie eine dermaßen ausgefeilte Ich-werf-dich-raus-Technik hin, dass Sie es sogar auf sich genommen haben, den Arbeitsplatz alleine aufzuräumen. Damit ich dort sitzen konnte."

Sie machte eine vage Handbewegung Richtung Treppe.

Das Beibehalten seiner steinernen Miene fiel ihm schwerer als gedacht. Sein Bauchgefühl bestätigt zu wissen, erleichterte ihn trotzdem ungemein. Dieses Hochgefühl hielt aber nicht lange an, denn dass sie ihn und seine Rauswurftechnik durchschauen könnte, hätte er nicht vermutet. Sie hockte vor ihm, sah ihm in die Augen und gab eine glasklare Analyse seines Verhaltens.

Fast erweckte es den Anschein, als ob sie ein Abziehbild von sich hinterlassen würde, wenn sie ging. Als wäre sie trotzdem noch im Kerker und würde ihn bei seinen Arbeiten beobachten. Ihn fröstelte. Dann klang ein leises Kichern an sein Ohr. Bevor er zur Frage ansetzen konnte, fühlte er sich angestupst.

"Na, kommen Sie schon, irgendwann müssen wir hier wieder weg, sonst kommt Professor Dumbledore noch runter und befriedigt seine Neugier."

Obwohl sie schwankte, kicherte sie weiter, schwang ihm seinen Umhang um die Schultern und versteckte sich darunter.

Völlig überrumpelt ließ er sich mitschleifen. Dann erst wurde ihm bewusst, dass sie eigentlich die Schwächere von beiden war und legte vorsichtig einen Arm um ihre Taille. Wie ein Stock lief er neben ihr. Vorhin, als sie nicht bei Sinnen gewesen war, hatte er ihre Nähe nicht so empfunden, nicht so intensiv wie jetzt.

"Dumbledore?" Wie kam sie auf Dumbledore? Und wie in Merlins Namen kam sie auf die Neugier?

"Ja, der Gute steht oben hinter dem Fenster und guckt runter."

Ihr Gesicht konnte er nicht sehen, aber er wusste, sie grinste breit. Das war den Worten deutlich zu entnehmen.

"Aha, guckt runter."

Da er sich sowohl über Satzbau als auch Reaktion ärgerte, ging er gnadenlos mit sich ins Gericht.

‚Mein Junge, deine rhetorischen Fähigkeiten lassen nach, sehr sogar.'

Aniram schaute vom Rasen auf und geradeaus. Sie wunderte sich. Es war wohl das erste Mal, dass er jemanden aus dem Bauch heraus in Sicherheit brachte. Darüber hinaus noch vom Direktor beobachtet zu werden war sicherlich peinlich. Obwohl sie selbst nichts Peinliches daran finden würde. Vor allem deshalb nicht, wenn sie an ihre eigenen Lehrer und den Umgang mit ihnen dachte.

Inzwischen waren sie an der Schlosstreppe angekommen und sie spürte, wie sein Schritt stockte. So gut es in der Dunkelheit ging hob sie ihren Kopf und ließ ein fragendes "Hm?" hören.

"Können Sie, ich meine, können Sie jetzt wieder da rein?"

Etwas zögerlich stellte er diese Frage, aber sie war von Bedeutung. Er stellte sich vor, wie viel Kraft jemand aufbringen musste, der sich in diesem Schloss mehr als unwohl fühlte. Es sprengte sein Vorstellungsvermögen und eine dumpfe Ahnung beschlich ihn, dass sie ihm noch längst nicht alles gesagt hatte.

"Na klar, das wird schon", kam es in der altbekannten Tonlage von unten. "Ich setz mich noch ein bisschen auf den Fensterstock. Mit einem Glas Wasser in der Hand."

Munter, als wäre nichts gewesen, stieß sie die Tür zu diesem selten dämlichen Schloss auf. Alles musste sie nun wirklich nicht ausplaudern. Dass sie noch weit davon entfernt war, wieder frohen Mutes diesen Sarkophag zu betreten, ließ sie sich ebenfalls nicht anmerken.

Die Helligkeit, die beide umfing, ließ sie erst einmal die Augen zusammenkneifen.

Snape öffnete sie zuerst wieder und sah ihr ins Gesicht. Er wusste nicht, was in diesem Moment geschah, aber er wollte für immer so stehen bleiben. Die Jahreszeiten überdauern, Wind und Regen und Schnee trotzen. Mit einem harten Schluckend befahl er sich, wieder auf den Boden der Realität zu kommen.

Sonst würde er zum Denkmal erstarren.

Und das nur, weil er jemanden achtete und respektierte. Nur? Welche Überwindung, welcher Mut mussten dahinter stecken, um nach diesem Zwischenfall wieder ein Gemäuer zu betreten. Schon das allein verlangte Respekt.

Fragend hob Aniram ihren Kopf und schaute ihn an. Ohne dass er etwas dazutun konnte, streifte er mit dem Daumen der freien Hand über ihre Wange.

"Kommen Sie gut nach oben."

Dann endlich brachte er es fertig, den Bann zu lösen, der ihn nahezu unbeweglich machte und holte ihr mit dem Aufrufezauber ein Glas Wasser herbei.

"Danke."

Das Glas leerte sie in einem Zug und hielt es ihm erneut hin, damit er es wieder füllte.

Mit dem vollen Glas in der Hand stellte sie sich auf die Zehenspitzen und hauchte einen zarten Kuss auf seine Wange.

"Sie sind wirklich ein Engel. Gute Nacht."

Zu schnell war sie seinem Gesichtsfeld entschwunden. Das Gefühl, sie immer noch in der Taille festzuhalten, war fast übermächtig. Träge, beinahe widerwillig wandte er sich um und sah zu, dass er in seinen Kerker kam. So berauscht, wie er sich eben gefühlt hatte, kippten sich zwei Dinge über ihm aus wie mehrere Liter eiskalten Wassers.

Die Kerkertür war die ganze Zeit offen gewesen! Und - heute hatte er zum ersten Mal Obliviate nicht aussprechen können. Weil er einfach nicht daran gedacht hatte. Würde sie das ausnutzen? Er gestand sich ein, dass es ihm von Abend zu Abend schwerer fiel, diesen Zauber anzubringen.

Die Grenzen dessen, was sie vergessen sollte und was nicht, ließen sich von Tag zu Tag schwerer festlegen und abstecken. Zu viel Eigenes war dabei. Ihre Worte, ihre Taten. Es wäre wohl nicht allzu sinnvoll, sie Abend für Abend in den Kerker zu bestellen, arbeiten zu lassen und den Rest zu löschen.

Er dachte ernsthaft darüber nach, ob er das überhaupt wollte. In logischer Konsequenz würde sie am nächsten Abend wieder bei Null beginnen.

So wie es jetzt war, konnte dieser Schlagabtausch jeden Abend eine Erweiterung erfahren. Es blieb nicht beim Status quo. Er grinste. Sie würde sich wohl sehr wundern, wenn er auf einmal eine Planche herbeizauberte oder auf irgendeine andere Bemerkung von ihr einging, die sie vergessen hatte.

Bis heute war er der Annahme gewesen, dass dieser spezielle Zauber eine nützliche Einrichtung wäre. Mittlerweile artete er jedoch regelrecht in Arbeit aus, so richtig mühselige Arbeit.

In bewährter Manier rauschte er durch den Gang und näherte sich unaufhaltsam seiner Tür. Die Gemälde warfen sich bedeutungsvolle Blicke zu, aber nur eines wagte sich zu einem Räuspern. Ach ja, das Geplapper.

Snape kam in den Sinn, wie sich alle, die hier hingen, gesorgt hatten, als er aus dem Schloss gestürmt war. Eigenartig. Da hatte er sich die bösartigsten und schrägsten Figuren der Zauberergeschichte ausgesucht und sie winselten und jammerten, was mit ihr sei. Normalerweise hingen sie da, um die Schüler auf dem Weg zum und vom Unterricht weg entsprechend einzustimmen. Jeder floh regelrecht durch diesen Gang. Na, Australier gehörten nicht in die Kategorie "Jeder".

"Ich weiß es nicht, bevor hier irgendjemand fragen will. Ihr war schlecht."

Die Gemälde wanderten wieder mit.

"Wie schlecht?"

"Sehr schlecht?"

"Ganz schlecht?"

Schon wollte er auffahren, um diesem Gejammer ein Ende zu setzen, als die Gemälde noch eine Steigerung auf Lager hatten. Sie sprachen mit sich selbst.

"Könnt ihr euch vorstellen, wenn unsere Kleine uns nicht mehr aufzieht?"

"Grauenvoll, ich darf gar nicht daran denken. Das wird mir fehlen wie die Luft zum Atmen."

"Ja", krähte das nächste, "und morgen bin ich mit der Titelvergabe dran. Oh nein!"

"Stimmt ja, morgen bis du dran. Ich platze schon seit einer Woche vor Ungeduld, welchen Titel sie dir verpasst."

Snape erstarrte und drehte sich einmal um sich selbst. "Kann mir vielleicht jemand sagen, was hier los ist?"

Sein Zischen brachte zwar alle zum Verstummen, hielt sie aber nicht vom Gestikulieren ab.

"War jemand im Kerker?" fragte er scharf. Diesmal kam es wie aus einem Mund.

"Nein."

Er drehte sich wortlos um und rauschte hinein.

Was sollte er als erstes tun? Kopf schütteln? Befreit aufatmen? Er wusste es wirklich nicht. Eins tat er aber zuallererst, seine Tür schließen! So langsam wurde sie ihm unheimlich. Wie es schien, war es nicht genug damit getan, dass sie ihm über den Mund fuhr, wie es ihr passte, nein, sie wusste oder ahnte, wie es in ihm aussah. Dass er wirklich, um ihr sozusagen die Flucht zu ermöglichen, ihren Arbeitsplatz aufräumte.

Aber vom Herumstehen wurde niemand klug und es räumte sich auch nicht alles wieder an Ort und Stelle. Einige Utensilien mussten schließlich auch noch gesäubert werden.

Locker stieß er sich von der Tür ab und pendelte nach vorn. Er stemmte die Hände in die Seiten und besah sich diesen Arbeitsplatz. Bevor er an das Zusammenräumen und Säubern ging, fiel sein Blick auf das Rezept. Diese Idee von ihr, den jeweils letzten Arbeitsschritt leuchtend hervorzuheben, gefiel ihm. Der letzten Zeile nach zu urteilen müsste der Trank jetzt über ein sattes Orange verfügen und ab und zu kleine Blasen schlagen.

Sein kritischer Blick wanderte zum Kessel. Er kniff die Augen zusammen und riss sie wieder auf. Was er vor sich sah, warf weder Blasen noch entsprach dieser Pastellton auch nur annähernd der Farbe Orange.

Vor ihm standen noch der Mörser und daneben eine Petrischale. Sein Finger fuhr die Zeile entlang. Das müsste getrocknetes Kobrablut sein. Danach sah der Trank orange aus. Er wusste, sie würde nie etwas vergessen. Er tippte eher darauf, dass sie das Kobrablut im heutigen Trubel nicht mehr hatte hinzufügen können.

Ungern wollte er ihr in die Parade fahren, in diesem Falle in diesen Trank, an dem sie nun schon seit einigen Tagen arbeitete. Allerdings war diese Zeile schon markiert und demzufolge würde sie sicher morgen davon ausgehen, sie wäre abgearbeitet. Sie musste es ja nicht erfahren. Es stand ohnehin in den Sternen, was sie an Erinnerung morgen noch aufbrachte.

Schnell kippte er die Petrischale über dem Kessel aus und wollte sich schon aus dem Staub machen, um sie zu reinigen, als er von dem Geschehen magisch angezogen wurde.

Denn wie es schien, hatte die Zutat enorme Schwierigkeiten, überhaupt dort hineinzugelangen. Als sie endlich die Oberfläche der Flüssigkeit berührte, schäumte diese zwar kurz auf, nahm für genauso kurze Zeit die vorgeschriebene Farbe an - um dann rückfällig zu werden. Pastellfarben. Atemlos verfolgte er diesen Vorgang.

Langsam kippte sein Kopf zur Seite und über sein Gesicht huschte ein anerkennendes Lächeln. Er wusste, was das war.

"Du kleines australisches Biest. Das glaub ich einfach nicht."



Kapitel 15 - Australische Biester und X-Akten



Was er nicht glaubte und dennoch glasklar vor sich sah, diese vollkommene Verinnerlichung und Auseinandersetzung mit seiner Entdeckung musste warten, musste vorübergehend verschoben werden.

Ein Hüsteln riss ihn aus seinen Überlegungen. Er fragte sich, seit wann Dumbledore mit einem Hüsteln hier herein platzte.

"Ja, Albus, nun komm schon rein, wenn du die Tür geöffnet hast. Ich stehe ungern im Zug."

"Nein, nein, ich komme heute, ähm, direkt, könnte man sagen. Ich wollte mich nur ankündigen."

Snape fuhr herum und sah gerade noch, wie Dumbledore den Flammen entstieg.

"Guten Abend, Severus. Ich weiß, das ist ungewöhnlich, aber nach dem, was ich gesehen habe, hielt ich es für unangebracht, zu Fuß zu gehen."

"Guten... Abend, Albus. Wenn ich ehrlich bin, dann hätte Ich nicht gedacht, dass meine abendliche Besucherin dermaßen scharfe Augen hat."

Der Zustand, in dem sich der Trank befand, ließ ihm einfach keine Ruhe. Mit Macht musste er seinen Blick davon lösen, um sich unterhalten zu können.

"Scharfe Augen? Wie das?"

Dumbledore mochte ungern zugeben, dass ihn diese Worte weder etwas sagten noch ihn zum Denken animierten. So ein hingeworfener Brocken war ungewöhnlich und er, der sonst ausführliche Berichte erhielt, tat sich ausnahmsweise einmal schwer, aus fast nichts einen Zusammenhang herzustellen. Für ihn wirkte die scharfe-Augen-Bemerkung wie aus dem Kontext gerissen. Wobei - aus welchem Kontext? Er hatte ja noch nicht einmal einen konstruiert. Über dieses Paradoxon schüttelte er leicht den Kopf und wartete, was Severus auf seine selten genialen Fragen antwortete.

"Sicher, sie sprach von scharfen Augen. Sie meinte, du stündest oben am Fenster und wir sollten uns langsam bewegen, sonst kommst du runter und fragst."

Belustigung schwang in Snapes Stimme mit. Er konnte und wollte es nicht verhehlen - er empfand Freude daran, dass auch einmal eine andere Person Orientierung und den Faden der Ariadne gleichermaßen verlor. Still und heimlich grinste er sich eins.

"Oha, wirklich? Du weißt, wie weit oben das ist und dass man normalerweise nichts sieht? Hm, sie müsste Hawkeye heißen und nicht Hawkwing", beendete Dumbledore seine Überlegungen.

"Keine Chance", konterte Snape, "so heißt schon ihr Hund. Nein, ihr Dingo. Das sind australische Wildhunde. Also im Grunde genommen doch ein Hund."

"Jjjjaaaaaaa."

Diese beiden Buchstaben wurden ungewöhnlich in die Länge gezogen. Und noch länger, weil Albus inzwischen mehr als aus der Bahn kam. Er benötigte Zeit, um sich zu sammeln. Diese Zeit ließ sich mit einem immens lang gedehnten "ja" galant überbrücken. Dann sprach er endlich aus, weswegen er hergekommen war.

"Entschuldige, wenn ich dich so überfalle, aber was war das dort draußen?"

"Was dort war? Ich habe sie nach draußen gebracht. Scheinbar hat heute meine Uhr gestreikt. Ich sollte mich wohl besser nicht mehr auf einen unsichtbaren Zeiger verlassen. Sie ist hier", er deutete auf die Stelle, an der er gerade stand, "wie soll ich sagen… ihr wurde schlecht. Vielleicht in Verbindung mit einer Ohnmacht, ich weiß es nicht. Aber sie ist zusammengeklappt und war gar nicht mehr sie selbst. Dabei machte sie eine Minute vorher einen putzmunteren Eindruck."

Dumbledore strich sich bedächtig seinen Bart und heftete seinen Blick auf Severus' Füße, als könnte er darunter Miss Hawkwing erblicken. Dann nickte er langsam. Seinen Kommentar, dass er gesehen hatte, wie sorgfältig sein Freund die Aushilfskraft in seinen eigenen Umhang gewickelt hatte, unterließ er aus Taktgründen.

"Hat sie gesagt, warum?"

Severus holte tief Luft. "Ja, ich lag schon richtig. Die Mauern. Mir fällt jetzt erst auf, dass sie sich wie lebendig eingemauert fühlen muss. Das muss doch jemanden an den Rand des Wahnsinns treiben. Meinst du nicht auch? Und trotzdem, jetzt so was."

Mit einem knappen Kopfnicken deutete er auf den Trank.

"Klärst du mich bitte auf? Ich hab mich schon gefragt, was du gemeint hast mit dem kleinen australischen, äh…"

"Sprich's ruhig aus, Biest."

Severus lachte verhalten und informierte Albus über seine Entdeckung. Der Direktor bekam Kulleraugen.

"Das ist nicht wahr."

"Doch, doch, wenn ich es nicht selbst gesehen hätte, würde ich zweifeln, aber so", er drehte die Handflächen nach oben, "ist es ja wohl offensichtlich. Ich bewundere diesen Einfallsreichtum. Nur will sich mir nicht erschließen weshalb sie das getan hat."

Albus ließ diese Worte erst einmal auf sich wirken und konzentrierte sich letztendlich auf den Beginn. Die wirklich blanke Neugier schwang in seinen Worten mit.

"Was gedenkst du dagegen zu unternehmen? Willst du sie zur Rede stellen?"

"Aber nicht doch, Albus, wo bliebe da der Reiz des Verbotenen? Ich kläre das auf meine Weise."

"Dann kläre das mal. Ich darf wohl gespannt sein, auf welche Art und Weise du das zu tun gedenkst. Gibt es Neuigkeiten? Trotzdem Neuigkeiten?"

Ein Schnauben leitete die Antwort ein.

"Ja, gibt es. Ich muss nur zusammensuchen, was das alles war. Ah ja, in Australien fliegen sie Teppiche, keine Besen. Wenn ich jemals ihr Modell gesehen hätte, würde ich meinen Besen wieder in den Wald pflanzen."

Er schüttelte kurz den Kopf.

"Du kennst doch die Kutsche von Arthur Weasley, nicht wahr? Wer kennt sie nicht. Nun, dann wird es dich freuen zu hören, dass diese liebreizende Familie ein Hawkmobil fliegt. Scheinbar hawkt dort alles. Der Hund heißt so, das Auto, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, was ein Hawkmobil sein soll. Ob es der Familienteppich ist oder wirklich ein Auto. Beinahe frage ich mich, warum dieser Kontinent nicht Hawkstralien heißt. Irrsinn, absoluter Irrsinn."

Er unter brach sich kurz. "In sportlicher Richtung haben wir uns ebenfalls betätigt. Sie gab mir ein Kompliment für eine hervorragend ausgeführte Septime und verlangte von mir, hier eine Planche einzurichten. Irgendwie wäre ihr langweilig."

Er hatte inzwischen hinter seinem Schreibtisch Platz genommen und trommelte nun mit den Fingerspitzen auf die Tischplatte.

"Letztendlich unterbreitete sie mir auf unnachahmliche Art das Angebot, sie umzubringen."

Albus folgte mit immer größer werdenden Augen diesem nicht enden wollenden Redeschwall. Durstig, wie er war, hatte er nach einem Glas Wasser gegriffen und verschluckte sich heftig.

"Um... bringen?"

Als er wieder genügend Luft bekam, rutschte ihm heraus: "Arbeitet ihr manchmal auch?"

Es war einer der äußerst seltenen Momente, bei denen Severus nicht lächelte, sondern lachte.

"Natürlich machen wir das."

Aus dem Regal nahm er ein Pergament und drückte es Albus in die Hand.

"Was du da in der Hand hast, ist meine X-Akte. Wir sind in jeder Hinsicht ein, wie heißt das, Dreamteam, so wie Scully und Mulder, Susi und Strolch, Starsky und Hutch, Fix und Foxi, Pille und Kirk, Batman und Robin, Wyatt Earp und Doc Holliday und Sherlock Holmes und Dr. Watson. Aber frag mich nicht, wer das alles ist. Ich kenne nur die letzten beiden. Scheinbar handelt es sich bei den anderen um genauso bedeutende Figuren der Weltliteratur. Obwohl ich sie alle kennen müsste, verflucht. Aber vielleicht handelt es sich um australische Figuren. Ach ja, Scully und Mulder kennt sie aus dem Fernsehen."

So verächtlich, wie es einem Muggelgerät geziemte, spie er das Wort aus. "Und die sind für die X-Akten zuständig."

Als hätte Albus nicht richtig hingehört, brummelte er vor sich hin: "Dann hat sie aber Dracula und van Helsing vergessen."

"Scheint so."

Damit fing Snape wieder an zu grinsen. Letztgenannter hatte schließlich mit übernatürlicher Geduld versucht, Erstgenannten umzubringen. Die Frage hing im Raum, wer an dieser Stelle wen verkörperte. Noch vor ein paar Wochen hätte er diese Frage mit ‚ich bin Helsing, sie ist Dracula' beantwortet. Inzwischen war er weit, weit davon abgekommen, sie so klein wie möglich haben zu wollen.

Einen Teller mit Mangostückchen herbeizaubernd wartete er auf den Moment, an dem Albus seinen Kommentar zu dem Schriftstück abgab.

Im Moment gab dieser erst einmal gar nichts von sich und wendete das Pergament mit großer Sorgfalt hin und her. Aber es war und blieb ein Pergament. Anschließend versuchte er seine Neugier mit einer Frage zu befriedigen.

"Weißt du wenigstens, was X-Akten sind? Merkwürdiger Begriff."

Während er an dem Pergament roch, lehnte sich Severus zurück.

"Hm, schwer zu erklären. Diese X-Akten beschäftigen sich mit nicht erklärbaren Phänomenen."

Es schien, als würde sich Vollmond auf seinem Gesicht ausbreiten.

"Mit anderen Worten, mit Übernatürlichem."

Ein belustigtes Glucksen verließ seinen Mund, welches er mit einer Hand schnell wieder erstickte. Einer plötzlichen Eingebung folgend platzte er heraus.

"Mir will scheinen, sie betrachtet sich als - übernatürlich."

Dumbledore, der inzwischen das Riechen aufgegeben hatte, konterte trocken.

"Sicher, sicher, mein Freund. Und du bist ein nicht erklärbares Phänomen."

Auf Severus' verdutztes Gesicht hin erklärte er mit einem ungeduldigen Handwedeln: "Na, wenn ihr beide eine Akte habt?"

Es war in der Tat nicht einfach, sich Severus SO vorzustellen. Albus kam er in diesem Moment vor wie ein großer Junge. In seinen Augen glitzerte diebische Freude. Seine Begeisterung konnte er genauso schlecht verhehlen, wenn er die Abende schilderte. Beinahe schien es, als wollte er sich einige Jahre an Jungendasein zurückholen.

Jahre, die er nie hatte. Verbittert, von einem Despoten erzogen und oft allein gelassen, wurde Severus schon als Kind zum Erwachsenen.

Nun hatte offenbar ein australisches Mädchen geschafft, was noch nicht einmal ihm gelungen war. Die Fassade bröckelte ordentlich. Die Frage, weshalb er ihr vertraute, hing unsichtbar wie ein Damokles-Schwert im Raum und wartete darauf, herunterzusausen.

Wenn man sich vor Augen hielt, dass Severus bis heute einsam in seinem Schneckenhaus gelebt hatte, machte es das offensichtliche Verstehen doppelt schwer. Denn in dieses Schneckenhaus konnte nichts hinein und kam nichts heraus.

Abgekapselt von allem und jedem. So kannte man Professor Snape. Einen akribischen Snape, der jahrelang an seinem Image gearbeitet hatte, dermaßen perfekt, dass man schon den Namen nicht aussprechen mochte. Snape bedeutete Unheil, Snape bedeutete Ungerechtigkeit, Snape war fies. Niemand näherte sich ihm freiwillig bis auf zehn Schritte.

Dass genau derselbe Snape eine ganz andere Seite hatte, fiel bis heute in die Kategorie Utopie.

Selbst Albus war es nie gelungen, ihm ein bisschen Lebensbejahung einzuhauchen, geschweige denn die jetzt offenkundige Fröhlichkeit. Allerdings glaubte er keine Spur daran, dass es an der Mango lag.

Nach gewissen schlimmen Abenden, bei denen sein Freund sein Leben aufs Spiel setzte, konnte er nichts weiter tun als ihn wieder aufzurichten. Unter den gegebenen Umständen war Zuhören die beste Medizin. Dabei blieb es. Severus zeigte seine Dankbarkeit lediglich in Blicken.

Albus würde ohne Nachdenken fünfzig Lebensjahre hergeben, um einmal zu erleben, wie dieses eigenartige Duo einen Trank braute. Beide eigenwillig und wie es schien - gleich starrköpfig. Und beide trickreich genug, wenn er an Severus' Erklärung dachte, was den aktuellen Trank anging.

Schmunzelnd rollte er das Pergament auf und flog schon über die ersten beiden Spalten. Seine Augen wanderten regelrecht über den Brillenrand hinaus.

Severus ersparte ihm peinliche Fragen.

"Toll, nicht? Damit ich nicht so viel reden muss, hat sie mir dieses wundervolle Pergament angefertigt. Eigentlich soll niemand davon wissen", sagte Severus mit einem nicht zu überhörenden warnenden Unterton.

"Und diese beiden Optionen waren wohl die am meisten benutzten Sätze von mir. Aber lies mal weiter."

Albus tat ihm den Gefallen und spätestens in der letzten Spalte blieb sein Blick hängen.

"Aha, DAS ist also ihre unnachahmliche Art, dich zu verleiten, sie umzubringen? Verstehe ich das richtig? Hm. Ihr schreibt euch - Zettel?"

Leichte Missbilligung schwang in seiner Stimme mit. Allerdings für äußerst kurze Zeit. Denn vergnügt stellte er fest, dass in sehr außergewöhnlichen Spalten die meisten Kreuze zu finden waren.

"Na ja..." Er rollte es wieder zusammen und schon hing eine neue Rolle unter seiner Nase. "Was ist das?"

"Die Hawkwing-Akte", kam es trocken.

Ehrfürchtig nahm Albus die Rolle entgegen und zog eine Augenbraue hoch.

Severus legte den Kopf schief.

"Glaubst du wirklich, ich halte mich an ihren Befehl, irgendwo ein Kreuz zu machen? Schließlich kann ich schreiben. Ich dachte mir, wenn ich so etwas habe, ist es nur ausgleichende Gerechtigkeit, wenn ihre, sagen wir ‚Aktivitäten' ebenfalls irgendwo festgehalten werden."

Damit schnappte er sich ein neues Stück Mango und ließ seine Augen blitzen.

Breit, breit lächelnd und hoffnungsvoll interessiert wurde das Pergament aufgerollt. Albus rutschte ein lautes "Donnerwetter" heraus. Dieses Schriftstück nahm ja überhaupt kein Ende. Und was sich dort alles tummelte! Er las und las und las und brach in lautes Lachen aus, was ihm einen leicht indignierten Blick seines Gegenübers einbrachte.

"Wie ich sehe, lässt du sie nicht auf dein Jungsklo."

"Nein, sie hat ja zu arbeiten. Das war an dem ersten Abend." Amüsiert rollte er mit den Augen. "Als ich sie zum ersten Mal umbringen wollte. Oh ja, stell dir vor, ich gebe mir so eine Mühe und sie bemängelt das Fehlen einer Spalte. Gentleman, der ich bin, füge noch eine ein und sie sagt mir, wie sie zu heißen hat. Ich wollte ihr doch tatsächlich den Hals umdrehen. Aber für Schockeffekte sorgt sie immer wieder. Sie läuft mit Ausdrücken durch den Kerker, die - ich weiß nicht - die können nur von Muggeln kommen. Jedenfalls flüchtet sie, ich hinterher und auf ihrer Flucht reißt sie ein Tintenfass vom Tisch und kippt sich alles ins Gesicht. Kannst du dir einen besseren Anblick vorstellen?"

Hämisch grinsend fuhr er fort: "Selbstverständlich habe ich ihr die Badbenutzung untersagt und auch wenn sie sich bemüht hat, das etwas zu verwischen, die untere Hälfte ihres Gesichts war wunderbar schwarz. Sogar die Stirn hatte noch kleine Sprenkel abbekommen. Das war der Kandinsky-Abend." Jetzt lachte er laut. "Kandinsky-Gift ist gelb, schreiend gelb. Stell dir vor, eine Ravenclaw im Hufflepuffkostüm."

‚Wirklich wie ein kleiner Junge, der sich über einen gelungenen Streich freut', schoss es Dumbledore in den Sinn.

"Was du mit Sicherheit sehr genossen hast. Ich erinnere mich."

Leicht kopfschüttelnd rollte und las er weiter. Im nächsten Augenblick hätte er beinahe die Fassung verloren.

Er platzte heraus: "Weiß sie von der letzten Spalte?"

Das Mangostück, mit dem sich Snape gerade beschäftigte, nahm eine Umleitung und landete kurz in der Luftröhre. Nachdem er sich wieder frei gehustet hatte, schalt er sich einen leichtsinnigen Trottel. Hätte er doch nie diese Dinger herausgerückt. Aber nun war es zu spät und Albus hatte sie gelesen. Er tat so, als müsste er immer noch nach Luft ringen.

"Selbst- verständlich nicht."

Albus lächelte leicht. "Deshalb hast du sie wohl unsichtbar gemacht, nicht wahr? Severus, soll ich dir was sagen? Es macht sich ein gewisser Neid in mir breit. Ich glaube, du und deine Aushilfe", er zog das Wort in die Länge, "gewinnt dem Schulalltag durchaus noch schöne Seiten ab. Seiten, an die wir Erwachsenen schon gar nicht mehr denken. Aber wieso lässt du so etwas zu?"

Er wackelte mit dem Schriftstück. "Hast du keine Angst, sie benutzt es gegen dich?"

Der Moment war gekommen, an dem Severus unruhig auf seinem Stuhl hin- und herrutschte. Seine Antwort fiel so knapp wie möglich aus.

"Sie ist keine Aushilfe mehr, ich habe sie befördert. Und benutzen kann sie es nicht, weil sie nichts mehr davon weiß."

Dumbledores Augen wurden groß. "Amnesia?" Es war nur noch ein Flüstern.

"Nein, Obliviate." Beinahe trotzig kam die Antwort. "Obwohl ich mir nicht mehr sicher bin, ob das die optimale Lösung ist. Denn ich vermag es fast nicht mehr, alles einzugrenzen. Sie ist zu… frech. Zu… selbst."

Diesmal stahl sich das Lachen in seine Augen.

"Da sie nie ihren Mund hält und mich mit Sachen überrollt, die mir das Gefühl vermitteln, ständig Eigentore zu schießen." Er hob entwaffnet die Hände.

"Ich werde es merken. Denn heute konnte ich ihn nicht aussprechen."

Der Direktor von Hogwarts nickte mit geschlossenen Augen.

"Ja, das denke ich auch. Aber gut, jetzt, wo ich mich versichert habe, dass die Welt im Lot ist, kann ich auch wieder verschwinden. Ich will dich nicht unnötig aufhalten."

Unerwartet kam wieder Bewegung in ihn. Er erhob sich und schritt auf den Kamin zu. Der Direktor drehte sich noch einmal um.

"Doch, Neid, wirklich Neid. Gute Nacht."

Damit war er verschwunden.

In seinen Räumen angekommen holte Dumbledore tief, tief Luft. Sicherlich war es Severus unangenehm, das hatte er bemerkt, aber diese beiden Worte in der unsichtbaren Spalte hatten selbst ihn wie der Schlag getroffen.

Witz und Schlagfertigkeit.

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Severus Snape legte die beiden Dokumente wieder ins Regal und musste nun der absolut unerfreulichen Tatsache ins Auge schauen, dass er Albus diesen Trumpf auch noch regelrecht aufgedrückt hatte.

Wahrscheinlich litt er auch schon unter einer Art von retrograder Amnesie. Denn er hatte es als selbstverständlich hingenommen, dass Miss Hawkwing diese Spalte nicht sah, so dass er sie bedenkenlos herumreichte. Albus würde damit nicht hausieren gehen. Aber dieser wusste nun auch, wo er sie persönlich einstufte.

Witzig und schlagfertig. Solche Prädikate ließ er nicht einmal seinen Slytherins zukommen. Bei anderen, die ihn nicht so gut kannten, würde es ein großes Wunder auslösen, dass er solche Worte überhaupt kannte.

Sein Blick wanderte zum Arbeitstisch. Heute musste ein Zauber herhalten, um alles zu säubern und aufzuräumen.

Es war spät und theoretisch dürfte ihm niemand und ausgerechnet hier unten begegnen. So viel Freude er daran empfand, anderen Häusern Punkte abzuziehen, so viel Spaß es ihm bereitete - im Moment wollte er einfach niemanden sehen. Er begab sich in seine Privaträume.

Während er sich bettfertig machte, spulte er den heutigen Abend Stück für Stück zurück und holte sich wieder alles ins Gedächtnis, was sie gesagt hatte. Es dauerte lange, ehe er einschlief. Selbst im Schlaf beschäftigte ihn diese eine einzige Frage.

Wer war Joaquin?

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Während diese Unterhaltung im Kerker lief, saß Aniram ihren Worten getreu auf dem Fensterstock mit einem Glas Wasser in der Hand. Verträumt wanderte ihr Blick über den fremdartig erscheinenden Sternenhimmel.

Gab es dort oben Engel? Heute Abend hatte sie wirklich einen gebraucht und er war da gewesen. Ungefragt stand er neben ihr, hatte sie herausgerissen aus dem Sog, der sie unweigerlich verschlungen hätte. Hatte gehandelt, bevor es zu spät war. Nie hätte sie gedacht, dass er über so viel Einfühlungsvermögen verfügte.

Sicherlich war sie die einzige Schülerin, die ihn jemals anders erlebte. Sie stand an den Abenden nicht diesem knurrigen, gereizten Snape gegenüber, der mit Freude Punkte abzog, wo es nur ging. Der alle sehr deutlich spüren ließ, für wie minderbemittelt er sie hielt und der sie auch genau so behandelte.

Es reizte sie unheimlich, ihn an seine Grenzen zu treiben. Gerade wegen seines Verhaltens im Unterricht. Trotzdem hatte sie das Gefühl, er würde da sein, wenn man ihn brauchte.

Bevor sie ins Bett kroch, verpasste sie ihm einen höheren Level an Menschlichkeit.

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Der nächste Morgen startete in altbewährter, schon zur Routine gewordener Manier. Aus dem Bett schälen, Frühstück einnehmen, zum Unterricht rasen, zum nächsten rasen, sich zwischendurch verlaufen… Zumindest begann er so für kleine, importierte Australier.

Ein alteingesessener Lehrer hingegen erwachte sehr viel unausgeschlafener und war demzufolge weitaus knurriger als sonst. Doch gerade deshalb legte er an diesem Morgen ein beinahe widernatürliches Verhalten an den Tag - er zog keine Punkte ab. Nicht auf dem Weg zur Großen Halle und nicht während des Frühstücks.

Zu sehr beschäftigte ihn die Frage, was und in welcher Form "es" heute auf ihn zurollen würde. Fast schon verzweifelt versuchte er einen Blick auf den Ravenclaw-Tisch zu erhaschen.

Selbstverständlich getarnt, so dass bei jedem das Gefühl aufkam, diese personifizierte Sicherheitseinrichtung von Hogwarts schlief nie und ihre Augen waren überall.

Seine Unsicherheit tarnte er mit Wutschnauben und umklammerte seinen Kaffeebecher. Gelächter. Wer wagte es…

"Es scheint ihr wieder gut zu gehen, Severus."

Dieser kurze Satz von Albus riss ihn empor.

"Sehr gut sogar. Ich weiß nicht, entweder hat sie die gesundheitliche Konstitution eines Pferdes oder sie ist eine exzellente Schauspielerin. Wenn du mich fragst, tendiere ich zu ersterem."

Während dieser Worte ruderte er mit den Armen über den Tisch, als wollte er von allem kosten.

Snape nickte. Schauspiel? Nie und nimmer. Dazu hatte sie ihn mehr als einmal mit ihrer eigenen Meinung konfrontiert. Mit Augen so schmal wie Schlitzen studierte er seinen Kaffee.

Ob es dem lebendigen Inhalt der Schule nicht langsam auffiel, dass sie ihn nie Sir nannte? Er grinste freudlos in sich hinein.

‚Sev, du siehst Gespenster. Die anderen nennt sie schließlich auch nicht so. Fragt sich nur, ob DIE es genauso ausdrücklich verlangt haben.'

Ab einem gewissen Zeitpunkt befand er, dass dieses Lachen unerträglich wurde. Abrupt knallte er seinen Becher auf den Tisch und verschwand ohne ein weiteres Wort von der Lehrertafel.

Albus schaute ihm hinterher und bekam für einen kurzen Moment mit, dass Snapes Schritt stockte. Am Ravenclaw-Tisch.

"Hawkwing."

Hatte schon seine Annäherung für ein merkliches Absinken der Konversation gesorgt, brachte seine heiser gefauchte Anrede augenblicklich jede Unterhaltung zum Erliegen.

"Ja?"

Sie drehte sich kurz um und schaute ihm in die Augen. Eine deutliche Frage konnte sich darin nicht erkennen, demzufolge musste er schon sagen, was er wollte.

"Mitkommen."

Mit wehendem Umhang und langen Schritten stürmte er aus der Halle.

Mitkommen war keine Frage, aber eine Aufforderung. Seufzend drehte sich Aniram wieder um und schnappte sich noch ein Stückchen Obst.

"Immer ich." Sie versuchte, diesen Satz gelangweilt klingen zu lassen.

"Was will er denn diesmal von dir?"

Cho kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Ihre neue Mitschülerin schien ein begehrtes Studienobjekt von Professor Snape zu werden oder zu sein. Sie stellte sich die Frage, seit wie vielen Wochen diese Strafarbeit nun schon andauerte.

Aniram zuckte mit den Schultern.

"Frag mich mal was Leichteres. Ich bin ja nicht Snape." Grinsend verschwand sie vom Tisch. "Bis dann."

Die anderen schüttelten ebenfalls den Kopf und wünschten ihr Hals- und Beinbruch. Aniram war ihnen nach wie vor nicht geheuer, sie passte nicht ins europäische Konzept. Dass sich jemand so anders, so eigen und dadurch sehr oft auch daneben benahm, kannten sie einfach nicht.

Doch in Wirklichkeit waren sie froh, wenn dieser Kelch namens Strafarbeiten für Snape zu erledigen an ihnen vorbei flog. Scheinbar machte es ihr nichts aus, zu Snape zitiert zu werden.

Sie rannte die wenigen Schritte bis zur Tür, stieß sie auf und stand in der Eingangshalle. Suchend schaute sie sich um. Weit und breit kein Snape zu sehen. Was sollte das? Stand ihm heute der Sinn nach Verstecken spielen?

Schon wollte sie laut rufen, als es neben ihr zischte.

"Hierher."

Unendlich langsam drehte sie ihren Kopf und sah etwas hinter dem Pfeiler wackeln. Oder besser gesagt, sie sah etwas hinter dem Vorhang hinter dem Pfeiler wackeln. Also doch Verstecken und das am frühen Morgen.

Sie rollte mit den Augen und stapfte unwillig darauf zu. Mit verschränkten Armen umrundete sie sein Versteck und blieb vor ihm stehen.

"Jaaaa?"