Stirb langsam


Wie gern würde er das manchmal tun. Voller Begeisterung und dennoch halb frustriert schaute er der Frau zu, die mit Wucht ihre Faust in das Gesicht eines relativ dämlich aussehenden Mannes schlug. Was für ein Weib! Diese penetranten Reporter kannte er zur Genüge. Verbreiteten Unsinn, wo es nur ging. Sie ließen sich nur vom Geld leiten. Solange sich das Blatt gut verkaufte, war alles rechtens. Warum konnte es so etwas nur im Film geben? Warum musste alles viel zu schön um wahr zu sein?

Bedauernd erhob sich der Zuschauer, als das Wort ENDE über die große Leinwand flimmerte. So richtig war er von der Schlussszene nicht überzeugt. Probeweise schlug er seine Faust in eine Handfläche und grinste. Vielleicht konnte er das doch mal ausprobieren. Einfach so. Allerdings war er sich auch bewusst, dass das, was jetzt auf ihn wartete, noch sehr viel utopischer war als eine Frauenfaust in einem Männergesicht.

Trotz aller Abgebrühtheit, die er nach außen sehen ließ, befiel ihn leichte Nervosität, als er den Vorführraum verließ und sich zu den anderen gesellte. Den anderen, die für die nächste Zeit seine "Familie" sein sollte. Seine Kollegen. Ein verächtliches Schnauben entfuhr ihm. Das war noch schlimmer als… Abrupt unterbrach er diesen Gedanken und sah sich prüfend um. Schon allein die Umgangsformen waren himmelschreiend. Fürchterlich. Für seine Begriffe skandalös. Es war eine eigenartige Welt, die ihn aufnehmen sollte. Es machte alles noch viel schlimmer, wenn er an die Umstände dachte, die ihn hierher geführt hatten.

Ein grinsender Bengel näherte sich ihm, Hände reibend und mit einer Zigarette im Mundwinkel. Seine Musterung dieser Person war kurz, aber gründlich. Voller Abscheu beschloss er, ihn von vornherein abzulehnen. Für das Gesicht abwenden war es zu spät, also konnte er nur die Augen zukneifen und erschrocken zurückweichen, als ihm unverschämt der Qualm mitten ins Gesicht geblasen wurde. Zur Abscheu gesellte sich Ekel.

"Du siehst ja echt aus wie… Der volle Wahnsinn, Mann. Dann würde ich sagen, schmeiß dich mal in deinen feinen Zwirn."

Seine Augen wurden schmal und er schnappte nach Luft. "Ich soll was? Wer sind Sie überhaupt?" Demonstrativ drehte er sich um, auf der Suche nach einem Verantwortlichen. Mit dem er reden konnte. Er ließ sich doch nicht von jedem dermaßen belöffeln, wie es ihm grade gefiel. Überdeutlich machte er klar, wo er stand und wo der stand.

Scheinbar war das für den Bengel doch nicht so offensichtlich. Denn er schlich um ihn herum und gab ihm die Antwort - war es eine? - mit einem mörderischen Grinsen. "Schweinebacke, ich bin dein schlimmster Albtraum."

Ruhig bleiben? Was wurde ihm eingetrichtert? Ruhig bleiben??? Diese Anweisung verschob er kurzerhand ins Reich des Surrealen.

Lachend drehte sich der grinsende Bengel von ihm weg und überprüfte seine Garderobe. Viel war es ja nicht, wie der Angesprochene belustigt registrierte. Eine etwas eigenwillige Kreation. Ein weißes Unterhemd, ein weißes blutbeflecktes Unterhemd, ein dunkles Unterhemd und ein dunkles blutbeflecktes Unterhemd. Ob die dunklen dafür dienten, wenn er schwitzte?

Der Junge quasselte weiter und erlöste ihn endlich. "Du willst mir doch nicht ernsthaft erzählen, dass du in dem Aufzug den Nakatomi-Tower entern willst. Sag mal, aus welcher Welt kommst du, Mann? Wo ist dein Bart? Und was sollen die langen Zotteln? Mit dem Lappen, den du anhast, bleibst du doch in jedem Lift stecken."

Mit diesen wahrscheinlich gut gemeinten Worten verabschiedete er sich mit einem mehr als kräftigen Schulterklopfen.

Severus Snape ging sprachlos in die Knie.

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Er, der seinen Festumhang, nie einen Bart und ständig lange Haare trug, er sollte WAS? Was in Gottes Namen hatte ihn geritten, hierher zu kommen? Oder wer? Pah, Muggelwelt. In diesem Moment, als dermaßen respektlos mit ihm gesprochen wurde, verfluchte er die Tatsache, dass es Geheimabkommen zwischen der Muggel- und Magierwelt gab. Dass man versuchte, irgendwelche Phänomene zu erklären, indem kurzerhand ein Bild von Zauberern in der Muggelpresse veröffentlicht wurde. Die Muggelpresse war im Aufreißen von Sensationen um keinen Deut besser als der "Tagesprophet" oder die "Hexenwoche".

Selbstverständlich geschah das alles mit Wissen und Einverständnis des Ministeriums. Alles nur, um eventuell die fliegende Kutsche dieses Weasley als UFO zu kaschieren. Wieder mal etwas aus dem Bereich des Übersinnlichen. Wie Politik gemacht wurde, wusste er. Da diese "Magier" nicht aufzutreiben waren und geheimnisvoll blieben, hatten die Leute etwas zu reden und wurden vom Alltagsgeschehen abgelenkt.

Aber genau aus diesem Grund begab es sich, dass irgendein John McTiernan auf sein Gesicht aufmerksam geworden war. Unglücklicherweise zierte sein Konterfei erst letzte Woche das Titelblatt irgendeines Boulevardblattes. Dieser John schrieb eine Eule, nein, korrigiert sich Snape im Stillen, eine Ih-Mäl nach Hogwarts.

Als ob sein Unglück nicht schon perfekt wäre, legte Albus für ihn unverständlich in letzter Zeit sehr großen Wert auf den Muggelkundeunterricht. Die Lehrerin war stolz, mächtig stolz sogar auf die neueste und einzigartigste Anschaffung in Hogwarts, einen Computer. Dort heraus oder auch hinein, Snape war sich darüber nicht so im Klaren, kam diese Ih-Mäl. Ihn verblüffte die Geschwindigkeit, mit der ein nichtmagisches Schriftstück Albus Dumbledore erreichte.

In dieser Ih-Mäl stand, dass John McTiernan ihn unbedingt sehen wollte. Er würde aussehen wie Alan Rickman, der leider erkrankt war. Krach, bumm, aus. Jetzt stand er hier, musste sich beleidigen und seinen schönen Umhang verunglimpfen lassen, sich wirres Zeug anhören, was nach Piraterie klang, sollte sich zur gleichen Zeit Haare schneiden und Bart wachsen lassen. Praktisch gesehen war es kein Ding der Unmöglichkeit, wenn er wenigstens seinen Zauberstab bei sich hätte. Aber ohne Magie? Albus hatte darauf bestanden, dass er ohne ging. Und Muggelkleidung? Am sogenannten "Set" würde er mit einem Umhang nicht auffallen. Es würde eben danach aussehen, als ob er einen Film drehe.

Seine Hoffnung, so schnell wie möglich wieder zu disapparieren, begrub er spätestens, als er John McTiernan gegenüberstand.

"Perfekt, perfekt, du siehst genauso aus wie Alan. Ich hoffe doch, du weißt, wie er spielt?" Bei diesen Worten tigerte er um ihn herum und nahm ihn von allen Seiten in Augenschein.

Davon sehr unangenehm berührt schüttelte Snape energisch den Kopf, obwohl er es wusste. Bis ins Detail, Gestik, Mimik - alles war ihm so vertraut, als wäre er es selbst. Aber was ging ihn dieser Rickman an? Er hoffte immer noch, dass er irgendetwas falsch verstanden hatte. Oder dass Albus etwas falsch verstanden hatte.

In der Zaubererwelt war er von früh bis spät intensiv damit beschäftigt, außerordentlich nervenden Gryffindors Punkte abzuziehen. DAS war seine Welt. Hier und jetzt wurde davon ausgegangen, er kenne diesen Rickman. Er stand da wie in Stein gemeißelt und betrachtete zweifelnd diesen Regisseur. Er musste wohl so einen Status wie Filch haben. Aber warum tanzten dann alle nach seiner Pfeife? Also doch ein Muggel-Dumbledore?

"Also, wie du sicher gesehen hast, haben wir den Film halb im Kasten. Einige Szenen fehlen jedoch und zwei müssen wir nachdrehen. Ich hab dich kommen lassen, weil Alan krank ist und du ihm verdammt ähnlich siehst. Grundsätzlich erst mal, bist du am Projekt interessiert? Und wie viel Gage nimmst du?" Halb im Kasten war eine arge Untertreibung und McTiernan fragte sich, ob sein Gegenüber das ahnte.

Was er auslöste, war ein hartes, trockenes Schlucken. Das waren zu viele Fragen auf einmal. Vor allem Fragen, die er nicht beantworten konnte. Seine Augen huschten umher und suchten zuerst einmal den Kasten. In diesem Büro gab es einige, aber er wusste nicht, was er damit auslöste, wenn er einen Deckel öffnete. Die Möglichkeit lag nahe, dass er den Film zerstörte. Nächster Punkt, Projekt. Damit war wahrscheinlich dieser Film gemeint. Gage? So etwas wie sein Lehrergehalt? So unglaublich das war, Snape war den Tränen nahe. Wenn ein Snape den Tränen nahe war, flüchtete er sich in grenzenlosen Ärger und Unwillen. Trotzdem überlegte er noch, wie viel das in Muggelgeld war.

"Na, na, na", sagte McTiernan, "so lange schon ohne Job? Weißt schon gar nicht mehr, was du wert bist, oder? Pass auf, ich mach dir ein Angebot. Sag ja oder nein."

Das Angebot stand und der, den es betraf, hatte nicht die geringste Ahnung, ob es fair und korrekt war. Andererseits, seit wann spielte für einen Slytherin Fairness eine Rolle? Also atmete er tief durch, tat noch eine Weile so, als ob er überlegen würde und nickte. Er war sich dessen bewusst, ein einziges Wort und er würde sich bis auf die Knochen blamieren. Außerdem sah er die Schlussszene noch einmal ganz klar und deutlich vor seinen Augen. Ob er das auch durfte? Wäre doch mal eine interessante Erfahrung und würde sein Leben bereichern. Endlich einmal zuschlagen.

"Gut." John McTiernan wirkte recht aufgeräumt. "Dann hast du hier das Drehbuch, ich hab dir alle Szenen angestrichen, die für dich relevant sind. Noch Fragen?"

"In… der… Tat", begann er ölig. So wie immer, wenn er eine Stinkwut im Bauch hatte. "Erstens, ist es normal, dass ich hier, wo mich niemand kennt, einfach mit ‚du' angesprochen werde? Zweitens", seine Stimme sank zu einem gefährlich leisten Flüstern herab, "was soll ich mit einem Drehbuch?"

"Herrgott noch mal, kommst du aus der Steinzeit?" John McTiernan raufte sich die Haare. Hätte er gewusst, dass jemand vor ihm stand, der in eine schier ausweglose Situation gebracht worden war, wäre vielleicht seine Reaktion anders ausgefallen. Er hätte es nämlich nicht geglaubt und diesen Irren unter Verschluss gebracht.

"Ein Drehbuch, mein Junge…", verdutzt hielt er inne. "Wie heißt du eigentlich?"

"Severus Snape."

"Brauchst ja nicht gleich so zu zischen. Also in einem Drehbuch steht alles, was gedreht wird." Er sah, dass seine neueste Errungenschaft die Augenbrauen zusammenzog und die Stirn in Falten legte.

"Bist du überhaupt Schauspieler?"

"Nein." Snape hatte sich entschieden, mit kurzen und präzisen Antworten aufzuwarten, weil er das Gefühl hatte, damit am weitesten zu kommen.

"Was denn dann? Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen."

Tief einatmend, damit er ruhig blieb, antwortete Snape: "Lehrer. Professor." Die ergänzende Information, die sein Selbst ausmachte, ersparte er sich und seinem Gegenüber.

John McTiernan riss die Augen auf. "Aha. Ein bisschen weltfremd vielleicht? Also pass auf, in einem Drehbuch steht alles, Worte und Reaktionen, was von den Schauspielern dargestellt oder gesprochen werden muss. Die Zeit des Stummfilms haben wir nun wirklich schon lange hinter uns gelassen. Ist das einigermaßen verständlich?"

"Das ist es." Sein Blick wurde drohend, seine Stimme eisig. Snape schielte auf das Drehbuch.

"Gut. Also leg los, wir sehen uns später." Er stand auf und wollte den Raum verlassen.

Snape, dem solche Umgangsformen vollkommen fremd waren und der bis heute nichts anderes als Respekt gezollt bekam, auch wenn dieser Respekt zu neunzig Prozent aus Angst bestand, hielt ihn noch einmal auf.

"Und was ist mit dem du?"

"Mann, du kommst ja aus ner steifen Gegend. Oh entschuldige, wenn du Lehrer bist, dann dürfte dir das doch ziemlich fremd sein. Hey, übrigens, den Blick eben hast du fantastisch hingekriegt, genau so will ich ihn später haben." Er gab nur vor sich selbst zu, dass ihm dieser Bengel, Ähnlichkeit hin oder her, so langsam auf den Kranz ging. "Aber das du, das ist hier normal. Das ist beinahe überall normal. Du bist Severus, springst für Alan ein, ich bin John und ich nehme stark an, Bruce hast du auch schon kennen gelernt?"

"Ist das dieses… Individuum mit den vier Unterhemden?"

Beim Lachen fiel John fast die Zigarre aus dem Mund. "He, du bist goldrichtig. Gegen Regiefehler ist eben niemand gefeit. Hauptsache, uns hängt das Mikro nicht in die Kamera."

Bedauernd nahm Snape, ab heute offiziell Severus, zur Kenntnis, dass er nun wirklich verschwunden war. Sein derzeitiger Boss. Ein kleines, zynisches Lächeln nistete sich in seinen Mundwinkeln ein, als er sich seinen Vorgesetzten mit genau derselben Ausdrucksweise vorstellte. Bei einer Lehrerkonferenz zum Beispiel. Oder wenn er das Schuljahr eröffnete. Ungewollt wurde aus dem Lächeln ein breites Grinsen. Unvorstellbar.

Mit spitzen Fingern griff er nach diesem Riesenwälzer, der sich Drehbuch nannte. Diese Schwarte war so dick, dass selbst das NECRONOMICON dagegen eher wie ein schmales Heftchen wirkte. Jetzt ärgerte er sich über sich selbst, dass er nicht rechtzeitig genug widersprochen hatte. Ihm graute davor, das zu lesen. Aber sagte nicht John irgendwas von relevanten Szenen? Er griff sich einen Stuhl, der in der Nähe stand, und ließ sich darauf nieder. Gleichermaßen geplagt wie genervt schloss er die Augen. Bei Hogwarts Geistern, da war es ihm lieber, einen ganzen Tag lang Gryffindors zu unterrichten. Wenn die hier wüssten, wer er war und wie er war… Niemand würde ihm so kommen wie es bisher alle taten. Aber seine Neugier hielt ihn fest.

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Severus-Alan saß also da und las. Bereits der Name stieß ihn auf. Was sagte John von Regiefehlern? Ha, hier hatte er einen groben im Drehbuch gefunden. Dort stand überall, wo er eine Markierung gefunden hatte, Hans Gruber. Ja, wer war er denn nun?

Widerwillig verzog sich ab und zu sein Mundwinkel, als er über das Gelesene nachdachte. Jetzt nur nicht lachen. Schnell setzte er sich so steif hin, als hätte er einen Zauberstab verschluckt und blickte hektisch um sich. Die Hektik konnte niemand herauslesen, denn sein Gesicht war unbewegt. Sein Lesetempo hatte er nicht forciert, weil er herausgefunden hatte, dass John mit den Markierungen kleine Zettelchen meinte, die aus den Seiten herausspießten. Nützliche Angelegenheit, wenn man etwas suchte.

In dem Moment, als er das Buch zuklappte und sich zurücklehnen wollte, beehrte ihn John wieder mit seiner Gegenwart.

"Na, schon angefangen?"

Unwillig runzelte Severus-Alan die Stirn. "Ich bin fertig."

Selten hatte er jemanden dermaßen fassungslos gesehen. "Du meinst", die Zigarre ruderte in der Luft herum, "du meinst, du hast alles im Kopf?"

"Selbstverständlich." Seine Stimme troff vor Ironie.

Misstrauisch blickte John ihn an. Fassungslos murmelte er: "Das hab ich wirklich noch nicht erlebt. Und diese Tonlage eben, kannst du dir die für Einstellung 43 merken? Die war klasse, wie vorhin der Blick. Und ansonsten keine Fragen mehr?"

Glücklich darüber, einem Muggel einen Regiefehler unter die Nase reiben zu können, ließ er wie nebenbei fallen: "Doch, da ist überall ein Regiefehler drin. Du", das fiel ihm unheimlich schwer, eine vertraute Anrede zu benutzen, "hast alles markiert, wo Hans Gruber steht. Aber ich bin Alan, richtig?"

John ließ seinen Blick an der vor ihm stehenden Gestalt auf und ab wandern. "Das glaub ich einfach nicht. Du bist länger draußen als ich dachte. Ach nein, entschuldige, du warst ja nie drin. Vergiss mal Alan. Alan ist ein Mensch wie du und ich. Du bist Severus und spielst Hans Gruber."

Severus-Alan-Hans hatte arge Probleme damit, aber um nichts in der Welt wollte er sich eingestehen, dass er nur die Hälfte verstand. "Aha." Das war alles, was er hören ließ, weil er ansonsten Gefahr lief, sich so richtig zu blamieren. Dieser vorprogrammierten Blamage ging er allerdings aus dem Weg, weil John ihn voller Begeisterung und Tatendrang postwendend aufforderte mitzukommen.

Er wurde durch eine Tür geschoben mit den Worten: "Macht Hans Gruber draus." Die Tür fiel hinter ihm zu und er sah sich einem Mann und zwei Frauen gegenüber, die ihn viel sagend musterten.



-- TBC